niederrheinisch - nachhaltig 

29.09.2022

Vom Krisenmanagement mit knappem Ökostrom

2022-09-29.jpgNicht nur Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck möchte die Windkraftkapazität an Land bis 2030 von 57 auf 114 Gigawatt verdoppeln. Auf der Windmesse Windenergy forderte er am 27. September 2022 die Bundesländer auf, beim Ausbau der Windenergie deutlich engagierter und schneller zu werden.

Der Viersener Landrat Dr. Andreas Coenen beschwerte sich beim IHK-Wirtschaftsforum „Impulse“ am 31. August 2022, dass extensiver Naturschutz die Genehmigung der von einem potenten Investor im Bereich der Start- und Landebahn des ehemaligen Militärfluplatzes in Elmpt geplanten Wind- und Solaranlagen gefährde. Um die Energiewende nicht scheitern zu lassen, forderte Coenen Bund und Länder auf, einen verlässlichen Rechtsrahmen für den Ausbau der erneuerbaren Energien zu schaffen. 

Kurz zuvor hatte IHK-Präsident Elmar te Neues einen „ideologiefreiem Pragmatismus“ in der Energiepolitik postuliert. Er verlangte, den Ausstieg aus Braunkohle und Atomkraft zu verschieben. Dem Klima sei nicht geholfen, wenn Deutschlands Industrie nicht mehr wettbewerbsfähig sei. 

Wer es einfach haben will, spielt Krisen einfach gegeneinander aus”, meint der BUND in seinem Rückblick auf die letzten zwei Wochen. (1) Wenn man heute auf klaffende Erdgaslecks in der Ostsee schaut, fragen sich nicht nur die BUND-Mitglieder, wie dieses Gasgemisch von der EU als „nachhaltig“ eingestuft werden konnte. Der BUND hat gemeinsam mit anderen Organisationen am 19. September 2022 eine interne Prüfung bei der EU-Kommission beantragt. (1) 

In einer Zeit, in der an allen Ecken und Enden der Welt Gewissheiten verloren gehen, gehört die Ideologie des ideologiefreien Pragmatismus ebenso auf den Prüfstand wie die des grünen Wachstums. 

Die Journalistin Ulrike Hermann moniert in ihrem jüngsten Buch (2), dass die meisten Ökonomen in ihrer Welt der Preise verharren und sich nicht mit physischen und technischen Tatsachen beschäftigen. Daher hielten sie irrtümlicherweise Ökoenergie für ein normales Produkt, das sich beliebig vermehren ließe. Sie schwärmten von den Chancen des Klimaschutzes und versprechen – wie die Agora Energiewende oder das Potsdam Institut für Klimafolgenforschung – ein ökologisches Wirtschaftswunder. Was dabei fehle, seien seriöse und belastbare volkswirtschaftliche Untersuchungen zu den Fragen der Wertschöpfung und Beschäftigung innerhalb der planetaren Grenzen.

Schnelle Genehmigungsverfahren, politische Postulate oder ökonomische Anreize werden diese Herausforderung allein nicht bewältigen. Dennoch ist eine von fossilen Energieressourcen unabhängige Energieversorgung von hoher Bedeutung für Klima, Geopolitik, Wirtschaft und Gesellschaft. Die derzeitigen Krisen müssen jetzt mit den Techniken, Mitteln und Methoden angegangen werden, die vorhanden sind.

Die bundesdeutsche Ampelregierung und die schwarz-grüne NRW-Koalition wollen daher den Ausbau erneuerbarer Energien vorantreiben. Seit dem 29. Juli 2022 gilt der neue § 2 des Erneuerbare-Energien-Gesetzes: „Die Errichtung und der Betrieb von Anlagen sowie den dazugehörigen Nebenanlagen liegen im überragenden öffentlichen Interesse und dienen der öffentlichen Sicherheit. Bis die Stromerzeugung im Bundesgebiet nahezu treibhausgasneutral ist, sollen die erneuerbaren Energien als vorrangiger Belang in die jeweils durchzuführenden Schutzgüterabwägungen eingebracht werden.“ (3)

Das „Herzstück“ des Energiesofortmaßnahmenpakets bedeutet, dass bei behördlichen Abwägungen mit anderen Rechtsgütern den Anlagen der erneuerbaren Energien ein besonderes Gewicht beizumessen ist, auch wenn Unternehmen diese Anlagen mit Gewinnerzielungsabsicht also aus privatnützigem Interesse errichten. Nicht ganz unstrittig ist allerdings, inwieweit der neue § 2 EEG in die Abwägungsentscheidungen anderer Fachgesetze oder europäischer Regelungen– z.b. beim Artenschutz eingreifen kann. (4) 

Das neue Gesetz zur Erhöhung und Beschleunigung des Ausbaus von Windenergieanlagen an Land (5) regelt die Ausweisung von zwei Prozent der Landesfläche in den Bundesländern.

Die NRW-Landesregierung hat am 31. August 2022 Eckpunkte für die Änderung des Landesentwicklungsplans beschlossen. Ein Entwurf soll nach der Überarbeitung der NRW-Windpotenzialstudie im Frühjahr 2023 ins Beteiligungsverfahren gehen und im 1. Halbjahr 2024 zum Gesetz werden. (6) Daneben stellt das Land seit dem 16. September 2022 den Kommunen Zuschüsse für Klimaschutzinvestitionen in Gesamthöhe von 40 Millionen Euro bereit. Weitere zehn Millionen Euro fließen in Forschungsprojekte im Zuge der europäischen „Clean Energy Transition Partnership“. Dahinter verbirgt sich eine europäische Initiative zur Entwicklung von Technologien und Systemlösungen zur Energiewende. (7)

Mit dem am 18. Mai 2022 veröffentlichten REPowerEU-Plan (8) kündigte die Europäische Kommission eine Reihe von Maßnahmen an, um die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen aus Russland rasch zu verringern, den ökologischen Wandel zu beschleunigen und gleichzeitig die Widerstandsfähigkeit des EU-weiten Energiesystems zu steigern. (9) Das „Notprogramm“ soll 300 Milliarden Euro umfassen und wird wahrscheinlich finanziert aus dem Corona-Wiederaufbauprogramm und einem vorgezogenen Verkauf von CO2-Zertifikaten (Frontloading) (10)

Ulrike Hermann moniert, dass die Vision meist mit dem Weg verwechselt werde und erinnert an eine banale Tatsache: „Solarpaneele und Windräder liefern jedoch nur Strom. wenn die Sonne scheint und der Wind weht. Um für Flauten und Dunkelheit vorzusorgen, muss Energie gespeichert werden - und dieser Zwischenschritt ist so aufwendig, dass Ökostrom knapp bleiben wird.“ (2, S. 12)

Verweise

1. BUND: Die Umwelt muss sich erstmal hintenanstellen. [Online] 28. September 2022. 
https://www.bund.net/themen/aktuelles/detail-aktuelles/news/die-umwelt-muss-sich-erstmal-hintenanstellen/

2. Hermann, Ulrike;. Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2022. 978-3-462-00255-3

3. Bundesgesetzblatt. Gesetz zu Sofortmaßnahmen für einen beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energie und weiteren Maßnahmen im Stromsektor. [Online] 28. Juli 2022. https://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav?startbk=Bundesanzeiger_BGBl&jumpTo=bgbl122s1237.pdf#

4. Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende. Zum Grundsatz des „überragenden öffentlichen Interesses und der öffentlichen Sicherheit“. [Online] 8. April 2022. https://www.naturschutz-energiewende.de/wp-content/uploads/KNE-Wortmeldung_Zum_Grundsatz_des_ueberragenden_oeffentlichen_Interesses_und_der_oeffentlichen_Sicherheit.pdf

5. Deutscher Bundestag. Drucksache 20/2583. [Online] 05. Juli 2022. Deutscher Bundestag. Drucksache 20/2583. [Online] 05. Juli 2022. 
https://dserver.bundestag.de/btd/20/025/2002583.pdf

6. Ministerium für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie des Landes Nordhrein-Westfalen. Erster Schritt für massiven Ausbau der Erneuerbaren Energien: Landesregierung beschließt Eckpunkte für Änderung des Landesentwicklungsplans. [Online] 31. August 2022. https://www.wirtschaft.nrw/eckpunkte-aenderung-landesentwicklungsplan

7. CET Partnership. [Online] https://cetpartnership.eu/

8. Europäische Kommission. REPowerEU-Plan. COM(2022) 230 final. [Online] 18. Mai 2022. https://eur-lex.europa.eu/resource.html?uri=cellar:fc930f14-d7ae-11ec-a95f-01aa75ed71a1.0002.02/DOC_1&format=PDF

9. Europäische Kommission. REPowerEU: erschwingliche, sichere und nachhaltige Energie für Europa. [Online] 18. Mai 2022. https://ec.europa.eu/info/strategy/priorities-2019-2024/european-green-deal/repowereu-affordable-secure-and-sustainable-energy-europe_de

10. Kelnberger, Josef. Ein fragwürdiger Deal. Süddeutsche Zeitung. [Online] 27. September 2022. https://www.sueddeutsche.de/politik/europaeische-union-ein-fragwuerdiger-deal-1.5664972

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