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17.09.2021
Was muss wachsen? Was kann schrumpfen? Über ein Göttinger Impulspapier zu „Klimaschutz und Daseinsvorsorge“
Fragen des ökologischen Umbaus moderner Volkswirtschaften müssen - gerade in Zeiten knapper öffentlicher Mittel - mit Fragen zukunftssicherer sozialer Daseinsvorsorge zusammengedacht werden. Denn beide Bereiche stehen für kaum relativierbare Veränderungen unseres Lebens und Wirtschaftens in den kommenden Jahren.
Klimaschutz und Daseinsvorsorge können einander ergänzen. Wir können ihr Spannungsverhältnis gesellschaftlich und politisch produktiv nutzen. Ausgaben im Bereich Klimaschutz können sich positiv auf die Gesundheit der Menschen auswirken und somit Kostensteigerungen vermeiden. Anstrengungen im Bereich Erziehung und Bildung können klimafreundliche Verhaltensänderungen nach sich ziehen. Wer in Bildung für nachhaltige Entwicklung investiert, fördert die technologische und soziale Innovationsfähigkeit.
Man nennt sie Öffentliche Güter oder systemrelevante Berufe. Man spricht von gesellschaftlich notwendigen Dienstleistungen (GND) oder Dienstleistungen von allgemeinem Interesse (DAI), kritischen Infrastrukturen oder Fundamentalökonomie. (1)
Über Kultur wird debattiert. Weitgehend unumstritten ist, dass Menschen existenziell auf Dienstleistungen aus den Branchen Erziehung, Bildung, Gesundheit, Pflege, Verwaltung und Sicherheit angewiesen sind.
Die Deckung grundlegender sozialer Bedürfnisse schafft die Voraussetzung dafür, dass Umweltschutz von einer breiten Öffentlichkeit unterstützt wird. Eine ausreichend ausgestattete Verwaltung begünstigt umweltpolitisches Handeln, etwa indem Genehmigungsverfahren für Klimaschutzprojekte beschleunigt werden können.
Das sind Thesen des jüngst veröffentlichten Impulspapiers (2) aus dem Forschungsprojekt „Gesellschaftlich notwendige Dienstleistungen sicherstellen“ (GenDis) (3). Das im November 2019 gestartete Projekt ist am Soziologischen Forschungsinstitut Göttingen angesiedelt. Kooperationspartner sind die Gesellschaft für wirtschaftliche Strukturforschung und das Bundesinstitut für Berufsbildung. Sieben Wissenschaftler*innen analysieren aus unterschiedlichen Perspektiven Berufe, Beschäftigte und Arbeitsbedingungen im Bereich der öffentlichen Güter.
Die Anforderungen an öffentliche Daseinsvorsorge und deren Kosten steigen. Der öffentliche Dienst und die Träger der freien Wohlfahrtspflege stehen vor einer Verrentungswelle geburtenstarker Jahrgänge. Fachkräftemangel zeichnet sich bereits jetzt ab. Die Covid 19 Krise hat die angespannte Personallage in der Daseinsvorsorge deutlich hervorgehoben- Aufgrund der persönlichen Komponente dieser Dienstleistungen gibt es wenig Rationalisierungspotenzial durch Arbeitsverdichtung, Automatisierung oder Standardisierung. Arbeitsbedingungen, Anerkennung und Entlohnung in den Erziehungs-, Sozial- und Pflegeberufen stehen nicht selten im Widerspruch zu ihrer hohen Bedeutung für das Gemeinwohl. Gleichzeitig wird die Digitalisierung in den kommenden Jahren für ein Wegfallen qualifizierter Tätigkeiten sorgen.
Die Autoren fordern daher eine gezielte arbeitsmarkt- und wirtschaftspolitische Steuerung mit Anreizen. „Die Perspektive der gesellschaftlich notwendigen Dienstleistungen bzw. der öffentlichen Güter impliziert, dass nicht alle Teile des Wirtschaftslebens gleich wertvoll für individuelle Teilhabe und das Wohlfunktionieren des demokratischen Gemeinwesens sind“ schreiben die Autor*innen mit Blick auf
• die aktuellen Debatten um gesellschaftlich relevante, weniger relevante und sogar schädliche Arbeitsplätze
• das europäische Recht auf Reparatur und die damit verbundene Förderung langlebiger Produkte
• die gesellschaftliche Rückbesinnung darauf, Verschwendung zu vermeiden
Der Markt kann nicht alles regeln und nicht alle Teile des Wirtschaftslebens haben die gleiche gesellschaftliche Relevanz. Manches muss wachsen, manches kann schrumpfen und einiges ist überflüssig.
Welche Wirtschaftsbranchen sollen wachsen? Welche sollen schrumpfen? Wo liegen Synergien? Welche Qualifikationen werden gebraucht? Das seien Fragen, die stärker auf die Agenda der Wirtschafts- und Sozialforschung gehören, meinen die Autor*innen. Mit Blick auf mögliche ökologische, soziale und wirtschaftliche Folgen, könne der ökologische Umbau und die Zukunftssicherung der Daseinsvorsorge nicht weiter aufgeschoben werden.
Verweise
1. René Lehweß-Litzmann, Bennet Krebs, Tobias Maier, Anja Sonnenburg, Ines Thobe, Berthold Vogel, Marc Ingo Wolter. Was sind gesellschaftlich notwendige Dienstleistungen? Eine konzeptionelle Eingrenzung. SOFI Arbeitspapier 2020-20. [Online] [Abruf am: 17. September 2021.]
http://www.sofi.uni-goettingen.de/fileadmin/Rene_Lehwess_Litzmann/Material/WP_2020-20.pdf
2. René Lehweß-Litzmann, Bennet Krebs, Tobias Maier, Anja Sonnenburg, Ines Thobe, Berthold Vogel, Marc Ingo Wolter: Arbeit für Daseinsvorsorge und Klimaschutz. Ringen um Ressourcen oder Segen sozialökologischer Synergien? [Online] [Abruf am: 17. September 2021.]
http://www.sofi.uni-goettingen.de/fileadmin/Rene_Lehwess_Litzmann/Material/SOFI_Impulspapier_GenDis_Arbeit_Daseinsvorsorge_Klimaschutz.pdf
3. Soziologisches Forschungsinstitut Göttingen. Gesellschaftlich notwendige Dienstleistungen sicherstellen: Ist Arbeit am Gemeinwohl attraktiv? (GenDis). [Online] [Abruf am: 17. September 2021.]
http://www.sofi-goettingen.de/projekte/gesellschaftlich-notwendige-dienstleistungen-sicherstellen-ist-arbeit-am-gemeinwohl-attraktiv-gendis/projektinhalt/
Quelle der Grafik: Nr. 2, S. 3
Grenzlandgruen - 09:04 @ Akteure und Konzepte | Kommentar hinzufügen
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