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10.11.2021
COP 26: Delegierte, Nachhaltigkeitsnarrative und der Kampf um Zeit
Die Nichtregierungsorganisation Globalwitness hat die 1616 Seiten der Teilnehmer*innenliste der Glasgower COP 26 -Konferenz analysiert. Sie stellt fest, dass die Lobby der fossilen Industrie mit mindestens 503 Delegierten größer ist als die Gesamtzahl Delegierten aus den acht Staaten, die in den letzten zwei Jahrzehnten am stärksten vom Klimawandel betroffen waren: Puerto Rico, Myanmar, Haiti, Philippinen, Mosambik, Bahamas, Bangladesch, Pakistan. 52 Delegierte sind unter „Fridays For Future“ registriert.
Etwa zwei Drittel der zivilgesellschaftlichen Organisationen, die normalerweise Delegierte zu den Klimagipfeln entsenden, sind offenbar erst gar nicht angereist. Hauptgründe: „Impfstoff-Apartheid“ und Einreiseregeln. Im September 2021 hatte ein Netzwerk aus rund 1500 Nichtregierungsorganisationen wegen der unzureichenden Versorgung von ärmeren Ländern mit Corona-Impfstoff vergeblich um eine weitere Verschiebung des Klimagipfels gebeten. Nach jahrzehntelanger Politikverzögerung ist die Erderhitzung zum Notfall geworden. Es geht in Glasgow um schnelle und umfassende Maßnahmen Dennoch könnte die Pandemie die Produktion eines neuen Nachhaltigkeitsnarrativs beschleunigen, das zu weiteren Politikverzögerungen führen könnte…
In den 1990er Jahren hat der Verband der chemischen Industrie mit seinem „Nachhaltigkeitsdreieck“ dafür gesorgt, dass die deutsche Nachhaltigkeitsdebatte jahrelang von einer angeblichen Gleichrangigkeit ökonomischer, sozialer und ökologischer Belange geprägt war. Mittlerweile haben die Naturkatastrophen der letzten Jahre deutlich gemacht, dass eine intakte Natur die Grundvoraussetzung für ökonomische und soziale Stabilität ist. „Die Natur lässt nicht mit sich verhandeln“ lautet ein viel gebrauchter Satz. Doch noch heute klingt bei manchen öffentlich vorgetragenen Argumenten der Glaube durch, man könne Naturgesetze und Wachstumshoffnungen abwägen.
RWE verkauft sich mittlerweile als „way to a sustainable life“, „zockt“ derzeit mit schwerwiegenden Gewinnen im Zertifikatehandel und hat seinen Head of Regulatory Affairs Paul Dawson und Richard Jennings Sandford von der Renewables UK in Glasgow registriert….
Die für BP tätige Werbeagentur hat im Rahmen der Kampagne „Beyond petrol“ mit dem „carbon foot print calculator“ nicht nur das Konzept des ökologischen Fußabdrucks gekapert, sondern gleichzeitig von BP‘s Verantwortung für den gigantischen Treibhausgasausstoß abgelenkt und sie auf subtile Weise den Einzelnen aufgebürdet. Die Einzelnen können seit 2020 bei Shell „klimaneutral tanken“…
Susanne Schwarz erinnert heute in der “TAZ” an den Shell-Lobbyisten David Hume, der vor drei Jahren dafür gesorgt hat, dass der Emissionshandel (Artikel 6) Teil des Paris-Abkommens wurde.
Die langfristige Erdatmosphärenschädigung rechnerisch mit einem temporären Nutzen durch Aufforstungen ausgleichen zu können, ist ein Aspekt der Artikel 6 – Verhandlungen auf dem Glasgower Klimagipfel. Der Artikel regelt unter anderem den “Sustainable Development Mechanism (SDM)” und damit den Kompensationsmarkt für Klimazertifikate.
Kann die bezahlte Aufforstung in einem armen Land als Teil der eigenen CO2-Einsparung gutgeschrieben werden? Können sich womöglich beide Partner die Einsparung anrechnen? Wie werden die Kompensationen berechnet? Mit Fakten oder Annahmen?
„Da es sich hier um etablierte Märkte und Verfahren handelt, sind davon wirtschaftliche und politische Interessen betroffen, die selbstverständlich (verhandlungs-)mächtig zu Buche schlagen“, schrieb gestern Reimund Schwarze im Spektrum.de - Sci-Log.
Welche Verhandlungsmacht haben 503 von insgesamt 22.000 Delegierten in Glasgow? Sind sie Teil der Lösung oder Teil des Problems? Können Sie mit „Greenwashing“ und zweifelhaften Kompensationsnarrativen weitere Zeit für klimaschädliche, aber immer noch gewinnbringende Geschäftsmodelle herausschinden?
Deutungshoheit und Begriffsbesetzung spielen in Glasgow eine nicht unwesentliche Rolle…
Grenzlandgruen - 08:56 @ Allgemein, Europa, Umwelt und Gesundheit | Kommentar hinzufügen
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