Suchen
25.04.2024
UN, EU, SRU, WBBGR, WBW…: Renaturieren!
Geschädigte Wälder, Moore Wiesen, Seen, Flüsse und Meere in Europa bis zum Jahr 2050 wieder in einen “guten Zustand” zu versetzen, das ist das Ziel des EU-Renaturierungsgesetzes (1), auf das sich Rat und Parlament in einem mühseligen, sich über Jahre hinziehenden Aushandlungsprozess geeinigt hatten. Das Gesetz gilt als ein wichtiger Bestandteil des europäischen Green deals und als Mittel, den Beschluss von Kunming-Montreal über den globalen Schutz der Biodiversität (2) umzusetzen.
Denn Investitionen in die Wiederherstellung der Natur rechnen sich. Für jeden ausgegebenen Euro erhalte man – je nach Ökosystem – zwischen 8 und 38 Euro zurück, argumentiert etwa Umweltkommissar Virgenius Sinkevicius. Allein die derzeit Jahr für Jahr entstehenden Kosten durch die Verschlechterung der Bodenqualität im Agrarland beziffert die Kommission auf 50 Milliarden Euro – mehr als für die Renaturierung aller Lebensräume im selben Zeitraum benötigt werde. (3)
Das EU-Parlament hat am 27. Februar 2024 eine Kompromissversion des Gesetzes mit 329 Ja-Stimmen, 275 Nein-Stimmen und 24 Enthaltungen verabschiedet. (4) Doch in Kraft getreten ist auch dieser Kompromiss noch nicht. Sein Schicksal hängt in der Schwebe, nachdem Ungarn am 22. März 2024 seine Unterstützung zurückgezogen hat. Auch die Niederlande, Italien, Schweden, Finnland und Polen sprechen sich gegen den Vorschlag aus. Österreich und Belgien hätten sich enthalten. Es scheint, dass das Gesetz in der EU keine ausreichende Unterstützung mehr findet. Seit dem Treffen der Umweltminister am 25. März 2024 besteht keine Klarheit mehr über die nächsten Schritte. Die deutsche Umweltministerin Steffi Lemke hofft, dass die Abstimmung über das Gesetz nach den Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni 2024 erfolgen könne (5). Eine Ablehnung des Gesetzes würde nicht nur aus Sicht von Teresa Ribera, der spanischen Ministerin für den ökologischen Wandel, die Fähigkeit töten, in den Wohlstand zu investieren. Sie nannte dies „einen riesigen, riesigen, riesigen Fehler.“ (6)
Unter diesen Vorzeichen haben der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU), der Wissenschaftliche Beirat für Biodiversität und Genetische Ressourcen (WBBGR) und der Wissenschaftliche Beirat für Waldpolitik (WBW) am 19. April 2024 ihre gemeinsame Stellungnahme „Renaturierung: Biodiversität schützen, Flächen zukunftsfähig bewirtschaften“ (7) an Bundesumweltministerin Steffi Lemke überreicht. (8)
Die Beiräte sprechen sich in ihrem 90-seitigen Papier dafür aus, widerstandsfähige Ökosysteme wiederherzustellen, naturverträgliche Formen der Landnutzung zu entwickeln, Renaturierungsmaßnahmen zu fördern, Konflikte um Flächennutzung zu moderieren. Renaturierung sei dringlich, erfordere Kommunikation, Beteiligung und Interessenausgleich. Die Raumordnungsplanung solle spezielle Vorranggebiete für Renaturierung innerhalb eines bundesweiten Biotopverbunds vorhalten.
Der Zustand vieler Ökosysteme in Deutschland habe sich in den letzten Jahrzehnten weiter verschlechtert. Ergänzend zum Schutz der verbliebenen Natur solle stärker als bisher der Zustand geschädigter Ökosysteme verbessert werden. Dazu gehöre es, sowohl die bestehenden Schutzgebiete aufzuwerten als auch mehr landwirtschaftliche Flächen und Wälder naturnäher zu bewirtschaften.
„Wir Menschen sind auf funktionierende und widerstandsfähige Ökosysteme angewiesen, beispielsweise für die Nahrungsmittelproduktion, einen intakten Wasserhaushalt und die Klimaanpassung“, sagt Prof. Josef Settele, Mitglied des SRU. „Renaturierung ist nicht nur in Schutzgebieten notwendig, sondern insbesondere auf land- und forstwirtschaftlich stark genutzten Flächen. Sie wird nur gelingen, wenn wir Synergien zwischen Naturschutz und Landnutzungsinteressen schaffen und Konflikte minimieren.“(9) Das Renaturierungsanliegen müsse in die Agrar- und Waldpolitik, in Raumplanung und Stadtentwicklung integriert werden.
Die Wissenschaftler*innen sprechen von einer Transformation der Landnutzung. Renaturierung stehe nicht im Widerspruch zu Bewirtschaftung. „Es geht vor allem darum, die natürlichen Funktionen in den Agrarlandschaften zu stärken“, so Prof. Peter Feindt, Vorsitzender des WBBGR. Viele Maßnahmen können dazu beitragen, dass sich Ökosysteme erholen, etwa Hecken und Blühstreifen zwischen den Feldern, ein geringerer und zielgenauerer Einsatz von Pestiziden oder die extensive Beweidung.
„Ist Renaturierung gut gemacht, verbessert sie zum Beispiel die Wasserhaltefähigkeit des Bodens, die Bestäubung der Pflanzen durch Insekten und den Erosionsschutz. Damit macht sie die Landwirtschaft resilienter, gerade auch im Klimawandel, und trägt dazu bei, die landwirtschaftlichen Erträge langfristig zu sichern.“ (9)
In einer Online-Veranstaltung am 23.Mai 2024 sollen die Kernempfehlungen der Stellungnahme „Renaturierung: Biodiversität schützen, Flächen zukunftsfähig bewirtschaften“ präsentiert und in den drei Bereichen Landwirtschaft, Waldbewirtschaftung und Naturschutz mit Akteur*innen aus Politik, Wissenschaft und Praxis diskutiert werden. (10)
Verweise
1. Europäisches Parlament. P9_TA(2024)0089 - Wiederherstellung der Natur. [Online] 27. Februar 2024. https://www.europarl.europa.eu/RegData/seance_pleniere/textes_adoptes/definitif/2024/02-27/0089/P9_TA(2024)0089_DE.pdf
2. Grenzlandgrün. Montreal-Kunming Rahmenabkommen, EU-Renaturierungsgesetz und Rewilding. [Online] 18. Juli 2023. https://www.grenzlandgruen.de/Blog;focus=TKOMSI_com_cm4all_wdn_Flatpress_22892279&path=?x=entry:entry230718-222433#C_TKOMSI_com_cm4all_wdn_Flatpress_22892279__-anchor
3. Thomas Krumenacker. Europaparlament nimmt Renaturierungsgesetz an. Spektrum.de. [Online] 27. Februar 2024. https://www.spektrum.de/news/faq-zum-eu-renaturierungsgesetz-worum-geht-es-bei-dem-gesetz/2208692
4. Europäisches Parlament. Parlament: Ja zur Renaturierung von 20 % der Land- und Meeresflächen der EU. [Online] 27. Februar 2024. https://www.europarl.europa.eu/news/de/press-room/20240223IPR18078/parlament-ja-zur-renaturierung-von-20-der-land-und-meeresflachen-der-eu
5. Aleksandra Krzysztoszek und Donagh Cagney . EU-Staaten verhärten Position gegen Renaturierungsgesetz. [Online] 5. April 2024. https://www.euractiv.de/section/energie-und-umwelt/news/eu-staaten-verhaerten-position-gegen-renaturierungsgesetz/
6. Donagh Cagney . Spanische Umweltministerin warnt vor Scheitern des Renaturierungsgesetzes. [Online] 17. April 2024. https://www.euractiv.de/section/energie-und-umwelt/news/spanische-vizepraesidentin-warnt-vor-scheitern-des-renaturierungsgesetzes/
7. SRU, WBBGR und WBW. Renaturierung: Biodiversität stärken, Flächen zukunftsfähig bewirtschaften. [Online] 19. April 2024. https://www.umweltrat.de/SharedDocs/Downloads/DE/04_Stellungnahmen/2020_2024/2024_04_Renaturierung.pdf?__blob=publicationFile&v=27
8. Bundespressekonferenz. Phoenix. Politik zur Wiederherstellung der Natur” mit Umweltministerin Steffi Lemke. [Online] 19. April 2024. https://www.youtube.com/watch?v=g70BBIejIxI
9. SRU. Warum Deutschland eine Politik zur Wiederherstellung der Natur braucht. [Online] 19. April 2024. https://www.umweltrat.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2020_2024/2024_04_PM_Renaturierung.html?nn=400216
10. SRU. Online-Veranstaltung des SRU, WBBGR und WBW: „Renaturierung: Biodiversität schützen, Flächen zukunftsfähig bewirtschaften“. [Online] https://www.umweltrat.de/SharedDocs/Termine/DE/2020_2024/2024_04_VA_Renaturierung.html?nn=400216.
Grenzlandgruen - 21:17 @ Europa, Umwelt und Gesundheit, Raumplanung und Regionalentwicklung | Kommentar hinzufügen
Archiv
2024: | Januar | Februar | März | April | Mai | Juni | Juli | August | September | Oktober | November | Dezember |
2023: | Januar | Februar | März | April | Mai | Juni | Juli | August | September | Oktober | November | Dezember |
2022: | Januar | Februar | März | April | Mai | Juni | Juli | August | September | Oktober | November | Dezember |
2021: | Januar | Februar | März | April | Mai | Juni | Juli | August | September | Oktober | November | Dezember |
2020: | Oktober | November | Dezember |
Kategorien
- alle
- Allgemein
- Europa
- Region
- Kreis Viersen
- Schwalmtal
- Akteure und Konzepte
- Umwelt und Gesundheit
- Wirtschaft und Finanzen
- Raumplanung und Regionalentwicklung
- Kultur und Bildung
- Infrastrukturen und Daseinsvorsorge
- Strukturwandel im Rheinischen Revier
- Meckereien und Gemopper
- Grenzlandgrünschnitt
- Bündelmüll
- Medienhinweise
Kommentar hinzufügen
Die Felder Name und Kommentar sind Pflichtfelder.