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27.12.2023
Internationaler Tag der Epidemievorsorge: Pandemievertrag und Reform der Internationalen Gesundheitsvorschriften
Heute, am 27. Dezember 2023, ist der Internationale Tag der Epidemievorsorge. Der Tag soll an die weltweite Agenda 2030, an die Bedeutung der internationalen Zusammenarbeit und an die verheerenden Auswirkungen schwerer Infektionskrankheiten und Epidemien auf das Leben der Menschen erinnern. Das hat die UN-Generalversammlung am 7. Dezember 2020 unter dem Eindruck Corona-Pandemie beschlossen. (1)
Seitdem hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) mit dem Entwurf zum Pandemievertrag und den vorgesehenen Änderungen der Internationalen Gesundheitsvorschriften für Aufmerksamkeit gesorgt.
Die WHO hat am 30. Oktober 2023 einen 29-seitigen Vorschlagstext für den Pandemievertrag veröffentlicht. (2) Dazu haben relevante gesundheitspolitische Interessenvertreter schriftliche Stellungnahmen eingereicht.
Mit ihnen beschäftigt sich derzeit das im Dezember 2021 eingerichtete zwischenstaatliche Verhandlungsgremium - Intergovernmental negotiating body (INB) (3). Es soll der im Mai 2024 stattfindenden 77. Weltgesundheitsversammlung einen - vorrangig zwischen dem 18. und 29, März 2024 auszuhandelnden - Entwurf für ein Pandemieabkommen vorlegen. (4)
Die endgültige Entscheidung über die Annahme des Pandemievertrags liegt bei den WHO-Mitgliedstaaten. Sobald der Vertrag vereinbart ist, wird er rechtsverbindlich in der WHO-Verfassung verankert.
Am 11. November 2021 hatte Charles Michel, Präsident des Europäischen Rates, gemeinsam mit dem Generaldirektor der WHO Dr. Tedros Adhanom Ghebreyesus, der Direktorin des Europäischen Büros der Bill & Melinda Gates Stiftung Anja Lagenbucher und dem Direktor des African Centre of Excellence for Genomics of Infectious Diseases Christian Happi über die Notwendigkeit eines internationalen Pandemievertrags gesprochen. Am Ende war sich Charles Michel sicher: „Ein internationaler Pandemievertrag im Rahmen der WHO wird die Prävention, Erkennung, Vorsorge und Reaktion verbessern.“ (5)
Im Namen der EU-Mitgliedsstaaten verhandelt derzeit eine Delegation der Europäischen Kommission über den Pandemievertrag. Sprecher und Sprecherinnen des Auswärtigen Amts und des Bundesgesundheitsministeriums unterrichten den Unterausschuss Globale Gesundheit des Deutschen Bundestags (6) über den Stand des Verhandlungsprozesses. Weitere Informationen zum Pandemievertrag sind unter anderem auf dem Global Health Hub abrufbar. (7)
Spätestens seit der politisch noch nicht aufgearbeiteten COVID-19-Pandemie ist aus unterschiedlichen Gründen das Misstrauen sowohl in institutionelle Gesundheitsmaßnahmen als auch in die Kritik an diesen Maßnahmen angewachsen.
Der Weltgesundheitsorganisation wird zudem seit Jahren organisatorische Ineffektivität vorgeworfen. Es heißt, dass die WHO auf Grund ihrer Finanzierung nicht mehr unabhängig sei.
Die Bill & Melinda Gates Stiftung (8) ist zweitgrößter Geldgeber der WHO. Die Stiftung finanziert ihre Geschäftsgewinne auch aus Aktien von Coca-Cola, Pepsi, Unilever und vielen anderen Unternehmen der Nahrungsmittel-, Spirituosen- und Pharma-Industrie und ist Teil der Internationalen Impfallianz Gavi (9), dem drittgrößten Geldgeber der WHO. (10) (11). Organisatorische und finanzielle Unabhängigkeit sehen wohl anders aus. Inwieweit geht es beim Pandemievertrag um neue Marktchancen für Pharmakonzerne?
Weltweit kursieren Behauptungen, dass der geplante Pandemievertrag die Souveränität der Unterzeichner-Staaten einschränke, um vermeintlichen Eliten mehr Machtmöglichkeiten zu überlassen.
Der Bayerische Rundfunk kam am 27. Oktober 2023 in einer radioWelt-Analyse zum Pandemievertrag allerdings zu dem Schluss, dass die Behauptungen falsch seien. (12)
Die Analyse geht jedoch nicht näher auf die geplante Reform der Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV) ein (13). In ihr geht es um den globalen Umgang mit grenzüberschreitenden Krankheiten. Bei diesen Vereinbarungen ist eine explizite Beteiligung der nationalen Gesetzgeber nicht vorgesehen. Derzeit verhandelt eine EU-Delegation bei der WHO in Genf über die IGV (14).
Das dpa-factchecking kommt in seiner IGV-Analyse zu dem Ergebnis, dass auch bei dieser Reform die staatliche Souveränität erhalten bleibe. Für Deutschland gelte das Gesetz zur Durchführung der Internationalen Gesundheitsvorschriften. (15) Das Gesetz wurde zuletzt am 28. Mai 2021 geändert und gibt der WHO Möglichkeiten, die gesundheitliche Notlage festzustellen und in einem Notfallausschuss über das weitere Vorgehen zu entscheiden. (16) (17) Welche Rechte bleiben dem Bundestag und den Landesparlamenten im Falle einer neuen WHO-Pandemie-Erklärung?
Um die Bedeutung und mögliche Auswirkungen der derzeitigen Verhandlungen zum Pandemievertrag und zur geplanten Reform der Internationalen Gesundheitsvorschriften sachgerecht beurteilen zu können, sind wohl auch noch viele andere Aspekte zu betrachten, z.B zur Geopolitik (18) oder zum Umgang mit digitalisierten Gesundheitsdaten (19).
Der Internationale Tag der Epidemievorsorge könnte daher Anlass bieten, sich im kommenden Jahr intensiver mit den aktuellen gesundheitspolitischen Entwicklungen zu beschäftigen…
Verweise
1. Vereinte Nationen. Internationaler Tag der Epidemievorsorge. [Online] 7. Dezember 2020. https://www.un.org/depts/german/gv-75/band1/ar75027.pdf
2. World Health Organization (WHO). Proposal for negotiating text of the WHO Pandemic Agreement. [Online] 30. Oktober 2023. https://apps.who.int/gb/inb/pdf_files/inb7/A_INB7_3-en.pdf
3. World Health Organization (WHO). INB process. [Online] https://inb.who.int/home/inb-process
4. World Health Organization (WHO) Proposal by the Bureau on an updated timeline and deliverables, development of the zero draft of the WHO CA+, and establishment of drafting group modalities. [Online] 25. November 2022. https://apps.who.int/gb/inb/pdf_files/inb3/A_INB3_4-en.pdf
5. Europäischer Rat. Präsident Michel auf dem Pariser Friedensforum. [Online] 11. November 2021. https://www.consilium.europa.eu/de/european-council/president/news/2021/11/11/20211111-paris-peace-forum/
6. Deutscher Bundestag. Unterausschuss Globale Gesundheit. [Online] [Zitat vom: 27. Dezember 2023.] https://www.bundestag.de/globale%20gesundheit
7. Sabrina Rupprecht. Rückblick: Im Dialog mit nichtstaatlichen Akteuren zum Internationalen Pandemieabkommen. [Online] 4. April 2023. https://www.globalhealthhub.de/de/news/detail/retro-im-dialog-mit-nichtstaatlichen-akteuren-zum-internationalen-pandemieabkommen
8. Bill & Melinda Gates Foundation. [Online] https://www.gatesfoundation.org/
9. Gavi - The Vaccine Alliance. [Online] https://www.gavi.org/
10. INFO Schweiz. Aufgedeckt: Wer finanziert die WHO tatsächlich und wie viel Einfluss hat Bill Gates? - Die vollständige LISTE. [Online] 9. Juni 2020. https://www.conviva-plus.ch/?page=3238#:~:text=Die%20Weltgesundheitsorganisation%20%28WHO%29%20finanziert%20sich%20haupts%C3%A4chlich%20%C3%BCber%20zwei,Grad%20des%20Wohlstandes%20des%20Mitgliedstaates%20und%20seiner%20Bev%C3%B6lkerungszahl.
11. Fabian Moser. Effektivität der Weltgesundheitsorganisation: Eine Systematische Literaturübersicht. [Online] 25. November 2022. https://refubium.fu-berlin.de/bitstream/handle/fub188/35566/diss_f.moser.pdf?sequence=1&isAllowed=y
12. Sophie Rohrmeier. Entwurf für WHO-Pandemievertrag: Staaten bleiben souverän. BR 24. [Online] 27. Oktober 2023. https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/entwurf-fuer-who-pandemievertrag-staaten-bleiben-souveraen,Ttn8pC0
13. World Health Organization (WHO). Article-by-Article Compilation of Proposed Amendments to the International Health Regulations (2005) submitted in accordance with decision WHA75(9) (2022). [Online] https://apps.who.int/gb/wgihr/pdf_files/wgihr1/WGIHR_Compilation-en.pdf
14. Delegation der Europäischen Union bei den Vereinten Nationen und anderen internationalen Organisationen in Genf. Auf dem Weg zu einem internationalen Abkommen zur Pandemieprävention und -vorsorge. [Online] 4. Dezember 2023. https://www.eeas.europa.eu/delegations/un-geneva/towards-international-agreement-pandemic-prevention-and-preparedness-0_en
15. dpa factchecking. Reform der Internationalen Gesundheitsvorschriften. [Online] 20. Januar 2023. https://dpa-factchecking.com/germany/230117-99-254029/
16. Bundesamt für Justiz. Gesetz zur Durchführung der Internationalen Gesundheitsvorschriften (2005) (IGV-Durchführungsgesetz - IGV-DG). [Online] https://www.gesetze-im-internet.de/igv-dg/BJNR056610013.html
17. Robert Koch Institut. Die Internationalen Gesundheitsvorschriften der Weltgesundheits-organisation. [Online] 25. November 2022. https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/IGV/igv_node.html#doc2391006bodyText3
18. Michael Bayerlein, Pedro Alejandro Villarreal Lizárraga. Gesundheitsgovernance und Geopolitik. Stiftung Wissenschaft und Politik. [Online] 7. Dezember 2023. https://www.swp-berlin.org/publikation/gesundheitsgovernance-und-geopolitik
19. Global Health Hub Germany. Brauchen wir eine globale Rahmenvereinbarung für den Umgang mit Gesundheitsdaten? [Online] Oktober 2023. https://www.globalhealthhub.de/fileadmin/user_upload/20231012_HD_GHHG_Policy_Brief_Digital_Health_Data_Governance_Deutsch.pdf
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