Mittwoch, 22. Januar 2025
„Umsetzen statt aussetzen“ – Wie nachhaltig können Supermärkte werden?
„Bis 2050 ist es für alle Menschen in Deutschland möglich und einfach, sich gut zu ernähren. Unser Ernährungssystem ist so verändert, dass sich alle gesund und nachhaltig ernähren können – unabhängig von Herkunft, Bildung und Einkommen. Unser Handeln ist auf Vorsorge anstatt auf Nachsorge ausgerichtet. Im Fokus steht eine stärker pflanzenbetonte Ernährung mit möglichst ökologisch erzeugten, saisonal-regionalen Lebensmitteln und so wenig Lebensmittelabfällen wie möglich. Wir tragen mit unserer Ernährung auch zur Ernährungssicherheit der Zukunft bei.“ (1)
Die in der deutschen Ernährungsstrategie beschriebene Vision betrifft auch den Lebensmitteleinzelhandel. Produktauswahl, Verpackungsmaterial oder die Vermeidung von Lebensmittelabfällen: Discounter und Supermärkte haben viele Möglichkeiten, ihr Sortiment verlässlich, hochwertig, preiswert und nachhaltig zu gestalten. Der Lebensmitteleinzelhandel (LEH) ist ein Schlüsselakteur in der Ernährungswertschöpfungskette. Er hat einen großen Einfluss darauf, was in Deutschland eingekauft und gegessen wird. Die Kunden und Kundinnen schauen mittlerweile genauer hin, welche Unternehmen durch Umweltschäden, Betrug, schlechte Arbeitsbedingungen und minderwertige Qualität auffallen. Sie fordern Transparenz.
Nachhaltigkeitsperformance von ALDI, KAUFLAND, EDEKA, REWE & Co
In dem am 16. Januar 2025 vom Umweltbundesamt auf 289 Seiten veröffentlichten und aus vielen Tabellen bestehenden Abschlussbericht „Wie nachhaltig sind die deutschen Supermärkte?“ (2) bestätigen die Autorinnen und Autoren den acht umsatzstärksten Unternehmen Deutschlands (ALDI Nord, ALDI Süd, EDEKA, Kaufland, Lidl, Netto, PENNY und REWE), dass sie beim Thema Nachhaltigkeit noch mehr als bisher tun können. Dies gelte für die Bereiche „Umwelt, „soziale Verantwortung“ und „Tierwohl“. Fazit: „Im Großen und Ganzen unternimmt der LEH nach wie vor nicht genug, um seiner Rolle als Gatekeeper für eine notwendige Transformation des Ernährungssystems gerecht zu werden.“ (2 S. 5)Ein Team des Forschungsinstituts für Biologischen Landbau (FiBL) hat die Studie im Auftrag des Umweltbundesamtes (UBA) mit Unterstützung durch die Universität Gießen und die Technische Hochschule Nürnberg erstellt. Die Studie bewertet mithilfe eines Bewertungsrasters die Nachhaltigkeitsperformance dieser Unternehmen für das Jahr 2023. Mit Umwelt, sozialer Verantwortung und Tierwohl deckt die Studie drei wesentliche Bereiche der Nachhaltigkeit ab.„Eine vollumfängliche Beurteilung der Nachhaltigkeit würde aber die Berücksichtigung weiterer Themen (zum Beispiel Gesundheit, ökonomische Aspekte hinsichtlich der Resilienz der gesamten Wertschöpfungskette) bedingen.“ (2 S. 217)
Das Bewertungsraster haben die Autorinnen und Autoren weitgehend aus dem Vorgängerprojekt (3) übernommen. Das Raster besteht aus 23 Handlungsfeldern, 90 Indikatoren und 103 Subindikatoren. Zu allen Indikatoren gibt es eine Ziffernbewertung und eine Erläuterung mit den Leitfragen „Was machen die Unternehmen gut? Wo besteht Verbesserungspotenzial? Worin unterscheiden sich die Unternehmen?“ Teilweise werden Veränderungen zu 2020 thematisiert.
Das Projektteam hat mit öffentlich verfügbaren Daten und vertraulich zur Verfügung gestellten unternehmensinternen Informationen gearbeitet. Der Umfang und der Detailierungsgrad der Daten habe allerdings für die genaue Beurteilung einiger Handlungsfelder nicht ausgereicht: „Teilweise haben die Unternehmen für Indikatoren keine Daten geliefert. Darunter leidet die Vergleichbarkeit der Beurteilungen.“ (2 S. 216)
- Welche Ökobilanzierungen, Umweltrisiko- oder Wirkungsanalysen, welche multiregionale Input-Output-Analysen erstellen die Unternehmen?
- Wie wichtig nehmen die Konzerne Nachhaltigkeit?
- Wie reduzieren sie negative Umweltwirkungen? Was ist mit der Verpackung oder den Lebensmittelverlusten in der Lieferkette?
- Wie wird die Einhaltung von Arbeits- und Menschenrechten in den Lieferketten bewertet?
- Welche Rolle spielt das Tierwohl für die Auswahl von Fleisch. Milch, Eier, Fisch?
- Sind Rohstoffe wie Getreide, Hülsenfrüchte, Kakao, Zucker, Fette, Kaffee Reis, Kartoffeln, Obst und Gemüse oder Fleisch und Fisch zu den landwirtschaftlichen Erzeugerbetrieben rückverfolgbar?
- Wie viele zertifizierte Produkte und Rohstoffe sind im Sortiment?
- Wie werden hauseigene Beschaffungsrichtlinien umgesetzt?
- Wie werden die eigenen Standorte nach Nachhaltigkeitskriterien bewertet? Welche Auswirkungen haben sie auf Boden, Wasser, Klima, soziale Verantwortung?
- Wie werden Tierwohl oder die Umwelt- und Sozialwirkungen bei der Produktplatzierung berücksichtigt?
- Wird erneuerbare Energie genutzt? Wie energieeffizient sind die Kühlanlagen?
- Wie sind Umweltmanagement und Logistik organisiert?
- Wie funktioniert das Beschwerdemanagement?
- Welche Weiterbildungsmaßnahmen zum Themenfeld Nachhaltigkeit bieten die Unternehmen an?
- Wie klar ist Nachhaltigkeit bei Managemententscheidungen verankert? Wie transparent sind die Verantwortlichkeiten?
- Welche Einkommensverteilung gibt es im Unternehmen? Wie nachhaltig ist die betriebliche Altersvorsorge?
Die Studie soll Unterschiede zwischen den Unternehmen sichtbar machen. Sie richtet sich eher an das Management im Einzelhandel und an politische Stakeholder als an die Kundinnen und Kunden. Sie zeigt aber allen Beteiligten, welche Bedeutung die Nachhaltigkeitsberichterstattung für einen transparenten Wettbewerb der Einzelhandelsunternehmen hat.
Es kommt auf die Rahmenbedingungen an
Die Studie stellt fest, dass die Unternehmen die Auswirkungen ihres Sortiments auf Treibhausgasemissionen oder Entwaldung mit fundierter Methodik bewerten. Zugleich bemängelt sie, dass Bewertungen zu wichtigen Umweltwirkungen wie Bodenerosion, Wasserverschmutzung Bodenverdichtung, potenziellem Artensterben, Toxizität von Pestiziden oder Überfischung fehlen. Zur Einkommensverteilung hat kein Unternehmen seine Zahlen weitergegeben.
Positiv sei, dass alle Unternehmen der Science Based Targets Initiative (SBTi) (4) beigetreten sind. Dabei geht es vor allem um Emissionsreduktion in der eigenen Wertschöpfungskette.
Durch den hohen Anteil an Eigenmarken haben die Discounter einen größeren Einfluss auf Nachhaltigkeit als die Vollsortimenter. Für die Vollsortimenter sei es aufgrund ihres wesentlich umfangreicheren Sortiments und ihrer teils dezentralen Struktur schwieriger, Nachhaltigkeitsmaßnahmen in der Breite umzusetzen. Auch wenn die Studie kein Gesamtranking der Unternehmen aufgestellt hat, konnte sich ALDI Süd oft vom Rest der Unternehmen abheben.
Das Projektteam schließt aus seinen Untersuchungen, dass es den großen Einzelhandelsunternehmen nicht möglich sei, die Transformation des Ernährungssystems von sich aus anzustoßen. Es käme auch auf die politischen Rahmenbedingungen, auf zivilgesellschaftliche und wissenschaftliche Initiativen an: „Für grundlegende transformative Maßnahmen, wie das aktive Befördern einer Reduktion des Konsums tierischer Produkte, werden daher auch Impulse von anderen Akteuren im Ernährungssystem benötigt. In den letzten Jahren gab es solche Impulse durch das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, dem Pakt gegen Lebensmittelverschwendung und der Science-Based-Targets Initiative. Die Wirkung dieser Impulse auf die Weiterentwicklung der Unternehmen des LEH konnte in dieser Studie eindeutig gezeigt werden.“ (2 S. 220)
Aufgabe einer Politik für nachhaltige Ernährungssysteme ist es, relevante Handlungsansätze nicht nur für Landwirte und Konsumenten darzustellen (5), sondern sie für alle wichtigen Akteure zu fördern und die entsprechende Forschung auszubauen: „Eine umfassende Politik für nachhaltige Ernährungssysteme erfordert auch, die Agrar- und Ernährungspolitik mit den weiteren tangierenden Politikfeldern (unter anderem Umwelt-, Gesundheits-, Finanz-, Familien-, Handels- , Sozial- und Arbeits- sowie Entwicklungspolitik) stärker zu verzahnen und so ein Umfeld zu schaffen, in dem für den LEH (und die anderen Akteur*innen im Lebensmittelsektor) eine Weiterentwicklung in Richtung Nachhaltigkeit wirtschaftlich möglich ist oder sich sogar lohnt.“ (2 S. 224) Bisher werde zu wenig zur Rolle und zu den Handlungsspielräumen des Lebensmitteleinzelhandels, der Lebensmittelindustrie und der Individualgastronomie geforscht.
Den Einzelhandelsunternehmen empfiehlt die Studie, die Datengrundlagen für die Lieferketten zu vertiefen und konsequent zu managen, Drittstandards (Bio, Fairtrade, Tierhaltungsstufen 3 und 4+) und eigene Beschaffungsrichtlinien zu verbessern und bei der Lebensmittelindustrie neben ökonomischer Nachhaltigkeit auch Kriterien der sozialen, ökologischen oder tierwohlethischen Nachhaltigkeit einzufordern.
Die eigene Produktion biete zudem einen unmittelbaren Hebel, nachhaltigere Produkte herzustellen. Quersubventionierung könne den Verkauf nachhaltigerer Produkte steigern.
Deutscher Lebensmitteleinzelhandel im Bundestagswahlkampf 2025
Der Bundesverband des Deutschen Lebensmitteleinzelhandels (BVLH) könne – so das Autorenteam - zu einem Beförderer der Nachhaltigkeitsentwicklung im LEH werden. Der BVLH hat am 17. Januar 2025 gemeinsam mit dem Deutschen Raiffeisenverband (DRV) und dem Deutschen Bauernverband Impulse des Lebensmittelhandels zur Bundestagswahl am 23. Februar 2025 veröffentlicht. (6)
Darin betonen sie die Systemrelevanz der Lebensmittelversorgung. „Die tägliche Bereitstellung vielfältiger, hochwertiger Lebensmittel bedarf enormer Aufwände und engmaschiger Prozesse in den Bereichen Produktion, Logistik, Märkte, Mitarbeitende und Verbraucher. Der deutsche Lebensmittelhandel erbringt diese Leistung in jeder Kommune und Stadt des Landes.“ (6) Ausreichende staatliche Investitionen in grundlegende Infrastrukturen im Bereich Energie und digitale Netze seien daher unabdingbar.
Die Politik habe die Möglichkeit, die Rahmenbedingungen für eine leistungsstarke, resiliente und souveräne Lebensmittelkette zu setzen.
Sie sollte die Wertschöpfungsketten umfassend betrachten und die Komplexität, Vielschichtigkeit der Abläufe und Abhängigkeiten berücksichtigen. Daher sei es wichtig, den Verbraucherschutz europaweit zu vereinheitlichen, den EU-Binnenmarkt zu gewährleisten und das sog. Goldpating zu vermeiden.
Goldpating beschreibt den Prozess, bei dem ein Mitgliedstaat bei den Anforderungen einer EU-Richtlinie über den notwendigen Mindeststandard hinausgeht, den alle EU-Mitgliedsstaaten einhalten müssen. Um nationale Interessen zu schützen, bereits bestehende nationale Regeln aufrecht zu erhalten oder um politische Mehrheiten zu sichern, „vergoldet“ ein Staat die EU-Richtlinie mit Anforderungen, die über die EU-Vorgaben hinausgehen. Goldpating kann die Kosten und den bürokratischen Aufwand für Unternehmen und Behörden erhöhen, Handelsschranken errichten und zu europäischer Rechtsunsicherheit führen.
Der Einzelhandel fordert die Politik auf, stattdessen die „Kräfte der freien Marktwirtschaft“ wertzuschätzen, die Nachhaltigkeitsbestrebungen der Unternehmen anzuerkennen, das geltende deutsche und europäische Wettbewerbsrecht konsequent anzuwenden und einseitige regulative Eingriffe zu vermeiden und den Unternehmen keine Kontrollpflichten gegenüber Erzeugerländern aufzubürden. (6)
Bürokratiemonsterdebatte und Wettbewerbsentfaltung
Das bezieht sich auf die Bürokratiemonsterdebatte um das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz und die europäische Lieferketten-Richtlinie (CSDDD) (7) Sie ist eine von vielen Ursachen für das Ende der deutschen „Ampelkoalition“ In der Debatte geht es weniger um die Vergoldung der europäischen Wirtschaftspolitik als um Öko- und Menschenrechtsdumping. Eine Ursache der aufgeheizten Debatte ist, dass manche große Unternehmen ihre Berichtspflichten auf kleinere und mittlere Zulieferbetiebe abgewälzt haben.
Was Vizekanzler Robert Habeck mit der Kettensäge wegbolzen wollte, wollen die EU-Mitgliedsstaaten und europäische Unternehmen bis zum 26. Juli 2026 umsetzen… (8)
Es sei denn, CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz setzt sich mit seiner Ankündigung durch, über die EVP-Fraktion die europäische Lieferkettenrichtlinie und die Nachhaltigkeitsrichtlinie für mindestens zwei Jahre komplett auszusetzen und erst einmal zu überprüfen, welche Teile dieser Regulierungen man im Rahmen eines umfassenden Bürokratieabbaus in Kraft setzen könne. (9)
Am 8. November 2024 hatte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Budapest im Rahmen ihrer Erklärung zum neuen „Deal für die europäische Wettbewerbsfähigkeit“ angekündigt, einen „revolutionären Vereinfachungsprozess“ zum unternehmerischen Verwaltungs-, Regulierungs- und Meldeaufwand einzuleiten und mit einem sog. Omnibus-Gesetz die Berichtspflichten um mindestens 25% zu reduzieren. (10) Berichtspflichten, die sich aus mehreren europäischen Regelungen ergeben, sollen daher gebündelt und entschlackt werden. Die Kommission will ihren Entwurf am 26. Februar 2025 vorstellen, doch die Debatte über das Erbe des European Green Deals hat längst begonnen...
Es gibt keine belastbaren Belege dafür, dass höhere Umwelt- und Menschenrechtsstandards die Wettbewerbsfähigkeit des Lebensmitteleinzelhandels beschränken. Im Gegenteil: sie sind eine Chance für innovative Produkte, Dienstleistungen und Lieferketten.
Neue Technologien können die Effizienz der Unternehmen steigern. Eine gute Umsetzung von Nachhaltigkeitskriterien kann die Kundenbindung und die Unternehmensmarke stärken und das Risiko von Reputationsschäden und Rechtsverfahren bei Umweltschädigungen oder Verstößen gegen Menschenrechte und Tierschutz mindern. Die Unternehmen können durch glaubwürdige und belegbare Nachhaltigkeitsperformance auch attraktiver für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und für potenzielle Investorinnen und Investoren werden.
Über 1000 Unternehmen haben sich daher zum Beispiel beim Deutschen Nachhaltigkeitskodex registriert. Sie nutzen dessen Plattform zur Nachhaltigkeitsberichterstattung nach der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) und berichten freiwillig und transparent anhand festgelegter Kriterien und Indikatoren über ihre unternehmerischen Nachhaltigkeitsleistungen. (11)
Andere Unternehmen haben sich der Gemeinwohlökonomie (12) oder der Global Reporting Initiative (13) angeschlossen, um transparent Rechenschaft über ihr Handeln abgeben zu können.
Nachhaltigkeit kann nicht nur ein Alibi für Profitsteigerung durch Greenwashing oder ein Modetrend sein. Nachhaltigkeit ist komplex, kostet erst einmal Geld und kann innovative ressourcenschonende Geschäftsmodelle erzeugen, die Wettbewerbsfähigkeit steigern und einen positiven Beitrag zur Gesellschaft leisten..
Kaufentscheidungen der Konsumentinnen und Verbraucher sind auch vom Image, von der Grundhaltung und den Werten des besuchten Unternehmens geprägt. Das zeigen bis heute die diversen Skandale im Lebensmitteleinzelhandel, wenn es zum Beispiel um Tierquälerei in der sog. Fleischproduktion oder den unfairen Umgang mit den Beschäftigten geht. Nachhaltigkeit muss messbar, verlässlich und transparent werden, um gemanagt werden zu können.
Der Kampf für Bürokratie
Mehr als 90 Organisationen, die die Zivilgesellschaft, Unternehmen, Banken und Investoreninteressen vertreten, äußerten im Dezember 2024 ihre tiefe Besorgnis über das derzeitige Pingpong beim Rechtsrahmen für die EU-Nachhaltigkeitsberichtserstattung und über die falschen Darstellungen, die sie als Bedrohung der Wettbewerbsfähigkeit interpretierten. Offenbar gehe es nicht darum, die europäische Nachhaltigkeitsberichterstattung zu vereinfachen, sondern darum, eine umfassende Deregulierungsagenda durchzusetzen. (14)
Gewerkschaften, Menschenrechts- und Umweltschützer aus ganz Europa riefen am 14. Januar 2025 in einer gemeinsamen Erklärung die Europäische Kommission dazu auf, die EU-Regelungen zur Unternehmensverantwortung nicht auszusetzen, sondern umzusetzen. die bestehenden Regeln zum Schutz von Gesundheit, Natur, Klima und sozialer Gerechtigkeit aufrechtzuerhalten. Sie seien keine regulatorischen Belastungen, sondern Grundlage einer gut funktionierenden widerstandsfähigen und gerechten Gesellschaft.
Die Europäische Union müsse beim Schutz der Menschenrechte, der Umwelt und des Klimas eine Führungsrolle übernehmen und Rückschläge beim Übergang zu nachhaltigen und widerstandsfähigen Geschäftsmodellen verhindern. Es dürfe keine Unsicherheit in den Ländern und bei den Unternehmen entstehen, die sich gerade auf die Umsetzung der europäischen Regeln zur Nachhaltigkeitsberichterstattung, der Geldanlagentaxonomie oder des Lieferkettengesetzes vorbereiten. (15)
Ähnlich argumentieren unter anderem die Unternehmen Ferrero, Mars, Nestlé, Unilever in ihrem am 17. Januar 2025 veröffentlichten Brief an die Europäische Kommission. (16) Auch sie unterstützen Vorschriften zur Nachhaltigkeitsberichterstattung und fordern Konsistenz, Klarheit und Vertrauen ein. Denn die europäischen Nachhaltigkeitsinitiativen hätten das Potenzial, die langfristige Widerstandsfähigkeit und den Wert europäischer Unternehmen zu steigern und ihnen Wettbewerbsvorteile zu schaffen. Die Ankündigung, dass die Europäische Kommission eine „Omnibus“-Initiative vorlegen wird, die eine Überarbeitung bestehender Rechtsvorschriften beinhalten könnte, berge die Gefahr, politische Sicherheit und rechtliche Vorhersehbarkeit zu untergraben. Schließlich seien Teile der Rechtsvorschriften bereits in Kraft.
Die Unternehmen hätten bereits erhebliche Ressourcen investiert, um sich auf die neuen Anforderungen vorzubereiten und diese zu erfüllen. Die Sorgfaltspflicht- und Berichtsregeln der Europäischen Union basierten schließlich auf maßgeblichen und etablierten internationalen Nachhaltigkeitsstandards, die viele Unternehmen seit Jahren in die Praxis umsetzen, um robuste und ganzheitliche Geschäftsmodelle zu verfolgen. Da viele dieser Standards nun in europäisches Recht umgesetzt wurden und andere Rechtsräume ähnliche Maßnahmen in Erwägung zögen, möchten die Konzerne ihre Investitionen in die Nachhaltigkeitsberichterstattung fortsetzen, um wettbewerbsfähig zu bleiben (16). Die TAZ berichtete am 21. Januar über den offenen Brief und ähnliche Initiativen zur Regulierung der Lieferketten. Überschrift: Konzerne kämpfen für „Bürokratie“ (17)
Bürokratie ist lästig und unerlässlich, damit Demokratien und freie Märkte rechtssicher, gleichberechtigt und transparent funktionieren. Eine effiziente und transparente Bürokratie kann dazu beitragen, die Lebensqualität der Menschen zu verbessern und die Wirtschaft zu stärken.
In ihrer Analyse aus der Lobbywelt wirft Kathrin Arnold einen Blick auf die Kampagne der „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ (INSM) zum Lieferkettengesetz: „Die Auseinandersetzung um das Lieferkettengesetz ist ein Paradebeispiel für ein Bürokratie-Framing. Zivilgesellschaftliche Organisationen haben sich lange für eine Regelung eingesetzt, die sicherstellt, dass Unternehmen verantwortungsvoll wirtschaften. Etwa, um menschengemachte Tragödien wie den Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza zu verhindern oder Kinderarbeit und die Ausbeutung von Arbeitenden in Lieferketten. Dafür wurde das Lieferkettengesetz geschaffen. Doch die wichtigen neuen Regeln gingen in der Erzählung als „Bürokratie“ unter.“ (18)
Das 2015 von der UN verabschiedete zentrale Weltnachhaltigkeitsziel für den Lebensmitteleinzelhandel trägt die Nr. 12 und soll nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster sicherstellen. Der Handel kann und will als „Gatekeeper“ im Ernährungssystem dabei eine zentrale Rolle einnehmen. Er hat sich aktiv im Hochrangigen Forum für eine besser funktionierende Lebensmittelversorgungskette stark gemacht. (19) und sich im Jahr 2014 für Lieferketten mit Nachhaltigkeitsstandards eingesetzt. (20) Er kann in der gesamten Wertschöpfungskette dazu beitragen, dass Umwelt- und Sozialstandards nachweisbar und transparent Schritt für Schritt verbessert werden. Er kann auf Qualität statt auf Quantität setzen. Er kann als glaubwürdige Schnittstelle zum Konsumenten ein Angebot an nachhaltigeren Ernährungsalternativen ermöglichen und so dazu beitragen, dass auch in Zeiten globaler Disruptionen die Ernährungsvision 2050 Wirklichkeit wird …
„Um der eigenen Verantwortung gegenüber den Kunden nachzukommen und um alle Schwerpunkte des Engagements anhand einer einheitlichen Basis aufbauen zu können, bündelt Kaufland sein Nachhaltigkeitsengagement in einer strategischen Klammer: Machen macht den Unterschied. Der Slogan gilt als Leitgedanke und bildet den Anspruch an das eigene Nachhaltigkeitsengagement ab.“ (21)
Kaufland sollte daran nicht gehindert werden, zum Beispiel mit Debatten über Bürokratiemonster und europäische Entfesselungen zur vermeintlichen Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit...
Verweise
1. Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft: Gutes Essen für Deutschland. Ernährungsstrategie der Bundesregierung. [Online] Januar 2024. https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/_Ernaehrung/ernaehrungsstrategie-kabinett.pdf?__blob=publicationFile&v=7
2. Marlene Sander u.a.: Wie nachhaltig sind die deutschen Supermärkte? Systematische Bewertung der acht umsatzstärksten Unternehmen des Lebensmitteleinzelhandels nach Umwelt-, Sozial- und Tierwohlkriterien. Umweltbundesamt - Texte 07/2025. [Online] 16. Januar 2025. https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/11850/publikationen/07_2025_texte_supermaerkte.pdf
3. Olivia Keller u.a.: Wie nachhaltig sind die deutschen Supermärkte? Systematische Bewertung der acht umsatzstärksten Unternehmen des Lebensmitteleinzelhandels in Deutschland aus Umweltsicht. Umweltbundesamt Texte 107/2022. [Online] September 2022. https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/479/publikationen/texte_107-2022_wie_nachhaltig_sind_die_deutschen_supermaerkte.pdf
4. Science Based Targets. Ambitionierte Unternehmen für den Klimaschutz. [Online] [Abgerufen am 20. Januar 2025.] https://sciencebasedtargets.org/
5. vgl. Ernährungsstrategie der Bundesregierung. [Online] [Abgerufen am 20. Januar 2025.] https://www.bmel.de/DE/themen/ernaehrung/ernaehrungsstrategie/ernaehrungsstrategie_node.html
6. BVLH. Bundestagswahl 2025. Impulse des deutschen Lebensmittelhandels. [Online] 17. Januar 2025. https://www.bvlh.net/fileadmin/bvlh-25/Downloads/Positionen/BVLH_-_Impulse_zur_Bundestagswahl_2025.pdf
7. IHK Aschaffenburg. Lieferkettengesetz auf Bundes- und EU-Ebene: Was bedeutet es für Ihr Unternehmen? [Online] [Abgerufen am 20. Januar 2025.] https://www.ihk.de/aschaffenburg/recht/ehrbarer-kaufmann3/neuer-inhalt2-6163860
8. LTO. Kommt das Lieferkettengesetz "weg"? [Online] 22. Oktober 2024. https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/lieferkettengesetz-kommt-weg-scholz-csddd-lieferketten
9. Boerse.de. EVP will EU-Lieferkettenrichtlinie für zwei Jahre aussetzen. [Online] 18. Januar 2025. https://www.boerse.de/nachrichten/EVP-will-EU-Lieferkettenrichtlinie-fuer-zwei-Jahre-aussetzen/36928572
10. Europäischer Rat. Erklärung von Budapest zum Neuen Deal für die europäische Wettbewerbsfähigkeit. [Online] 8. November 2024. https://www.consilium.europa.eu/de/press/press-releases/2024/11/08/the-budapest-declaration/
11. Deutscher Nachhaltigkeitskodex. [Online] [Abgerufen am 21. Januar 2025.] https://www.deutscher-nachhaltigkeitskodex.de/
12. Gemeinwohlökonomie Deutschland. [Online] [Abgerufen am 21. Januar 2025.] https://germany.econgood.org/
13. GRI. [Online] [Abgerufen am 21. Januar 2025.] https://www.globalreporting.org/
14. Multi-stakeholder statement. Smart implementation of EU sustainability reporting standards: make complying with rules easy. [Online] Dezember 2024. https://drive.google.com/file/d/1wBpLkdvp5TpNIrOphuYGc59wpd0gHxt1/view
15. European Coalition for Corparate Justice u.a.: Omnibus proposal will create costly confusion and lower protection for people and the planet. [Online] 14. Januar 2025. https://lieferkettengesetz.de/wp-content/uploads/2025/01/Jont-Statement-Omnibus-January-2025.pdf
16. DP World u.a. Business views on the EU omnibus proposal. [Online] 17. Januar 2025. https://media.business-humanrights.org/media/documents/Omnibus_Business_Statement_17_January_2025.pdf
17. Leila van Rinsum: Konzerne kämpfen für „Bürokratie“. TAZ. [Online] 21. Januar 2025. https://taz.de/EU-Lieferketten/!6063128/
18. Kathrin Arnold: Die INSM und der Deckmantel „Bürokratieabbau“. Lobby Control. [Online] 12. Juli 2024. https://www.lobbycontrol.de/aus-der-lobbywelt/die-insm-und-der-deckmantel-buerokratieabbau-116311/
19. European Commission. Forum for a better functioning food supply chain. [Online] [Abgerufen am 21. Januar 2025.] https://single-market-economy.ec.europa.eu/sectors/agri-food-industrial-ecosystem/competitiveness-european-food-industry/forum-better-functioning-food-supply-chain_en
20. HDE. Europapolitik: Positionen des Handels. [Online] April 2024. https://einzelhandel.de/images/publikationen/HDE_Europawahl_WEB.pdf
21. Sabine Müller und Lavina Ahmad: CSR-Kommunikation im Lebensmitteleinzelhandel in: Peter Heinrich [Hrsg.]: CSR und Kommunikation: Unternehmerische Verantwortung überzeugend vermitteln. Berlin 2024, ISBN 978-3662690253
22. myclimate Deutschland. [Online] [Abgerufen am 20. Januar 2025.] https://www.myclimate.org/en/
Nachhaltigkeitsberichte, -konzepte, -strategien
- ALDI Nord
https://www.aldi-nord.de/en/sustainability-report/2023.html - ALDI Süd
https://www.aldi-sued.de/de/nachhaltigkeit/strategie-erfolge/publikationen/fortschrittsbericht.html - EDEKA
https://www.edeka.de/nachhaltigkeit.jsp - Kaufland
https://unternehmen.kaufland.de/nachhaltigkeit/unser-nachhaltigkeitsbericht.html - Lidl
https://unternehmen.lidl.de/verantwortung - Netto
https://www.netto-online.de/ueber-netto/Noch-mehr-Nachhaltigkeit.chtm - PENNY
https://www.penny.de/clever-kochen/nachhaltigkeit - REWE
https://rewe-group-nachhaltigkeitsbericht.de/2023/de/assets/downloads/REWE_Group-Fortschrittsbericht_2023.pdf
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