niederrheinisch - nachhaltig 


Samstag, 23. September 2023

Knappe Güter, moderne Prioritäten: Temporärer Wasserstoffbus im Kreis Viersen

© Kreis Viersen Auf dem Foto (v.l.n.r.): Bernhard Wolters (Mobilitätsmanager Kreis Viersen), Holger Sehrt (BVR Betriebsleiter Bus NRW), Uwe Schröder (BVR Marktmanager), Rainer Röder (Kreis Viersen / VKV) und Christian Böker (Kreis Viersen / VKV).

Zwei Meldungen vom 22. September 2023: Zum einen teilt der Kreis Viersen mit, dass ab Montag, 25. September 2023 das Verkehrsunternehmen Busverkehr Rheinland einen Wasserstoffbus der portugiesischen Firma CaetanoBus testweise im Linienbetrieb einsetzen wird. (1)  Zum anderen stellt das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung  fest, dass Deutschland bis zu 70 Prozent seines Wasserstoffbedarfs importieren müsse. (2)

Wasserstoffbusse sind Busse, bei denen mittels einer Brennstoffzelle aus Wasserstoff Strom gewonnen wird, der Elektromotoren antreibt. Meist wird hierzu noch eine Zwischenspeicherbatterie verbaut, in welche die Brennstoffzelle den Strom einspeist und aus der der Elektromotor je nach Bedarf Leistung zieht. 

In den letzten Jahren werden Wasserstoffbusse immer häufiger im Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) eingesetzt. Sie gelten als eine Möglichkeit, den ÖPNV klimafreundlich zu gestalten.

Vorteile dieser Antriebstechnik sind hohe Reichweiten von bis zu 500 Kilometern über den gesamten Lebenszyklus. Der Bus ist lokal emissionsfrei und ein CO2-neutraler Betrieb ist bei Verwendung von grünem Wasserstoff möglich. Im Vergleich zu einem E-Bus haben Wasserstoffbusse kürzere Tankzeiten. (1)

Ein wichtiger Treiber zum Umstieg auf neue Antriebstechnologien ist die „Clean Vehicles directive“ (CVD) und deren Umsetzung  im Gesetz über die Beschaffung sauberer Straßenfahrzeuge. Deren Ziel ist es, die Luftqualität zu verbessern und den Lärmpegel im Straßenverkehr zu senken. Im ÖPNV müssen daher bis Ende 2025 45 Prozent und bis Ende 2030 65 Prozent der beschafften Busse emissionsarm oder -frei sein. (3) Der Kreis Viersen strebt die Anschaffung von Hybrid-, Wasserstoff- oder Elektrobussen an. (4)

Bereits seit über einem Jahr werden im Auftrag der Verkehrsgesellschaft Kreis Viersen (VKV) vier Elektrobusse durch das Unternehmen Kraftverkehr Schwalmtal (KVS) auf der Linie 074 eingesetzt. Zudem hat die VKV die Busverkehr Rheinland GmbH (BVR) beauftragt, ab dem nächsten Jahr zwei E-Busse anstelle von Dieselfahrzeugen einzusetzen. Diese sollen sowohl auf der Buslinie 095 in Nettetal als auch auf den Buslinien 071 und SB87 im Ostkreis verkehren. Die BVR baut dazu aktuell die dafür notwendige Infrastruktur auf. Der Start ist für das Frühjahr 2024 vorgesehen. (1)

Antriebsunsicherheiten und begrenzte Potenziale

© Mario Venzlaff auf pixabay

Dass die Verkehrswende nicht immer einfach ist, zeigt nicht nur die Änderung des deutschen Klimaschutzgesetzes zur vermeintlichen Entlastung des Verkehrssektors, sondern auch die Beschaffungspolitik der Stadt Wiesbaden. Sie sorgte im März 2023 für Schlagzeilen, als sie ihre Wasserstoffbusse mit Verlusten verkaufte, um sie durch Dieselbusse zu ersetzen. (5)

2019 empfahl der ehemalige Staatssekretär Enak Ferlemann aus dem Verkehrsministerium den Kommunen, Wasserstoffbusse zu kaufen, um die Nachfrage nach Wasserstoff aus Windenergie in Schwung zu bringen. (6) Heute wird über die Knappheit des Angebots debattiert. 

Wasserstoff oder Akku: offenbar kann keines der beiden Antriebskonzepte eine pauschale Überlegenheit beanspruchen. Die Frage nach dem Busantrieb der Zukunft könnte sich nach der deutschen Importgas-Desillusion wohl nicht nur aus Kostengründen zugunsten des Akkus entscheiden (7), sofern es nicht eines Tages zu einem Verbrenner-Comeback kommt.

Denn trotz aller Anstrengungen und Pläne für die heimische Wasserstoffherstellung wird Deutschland zukünftig ein Wasserstoff-Importland sein.  Die neue Studie des Fraunhofer ISI, RIFS Potsdam und der Deutschen Energie-Agentur (dena) innerhalb des Forschungsprojekts HYPAT (8) analysiert, dass das deutsche Potenzial für den Ausbau erneuerbarer Energien nicht einmal halb so groß sei wie die künftige Nachfrage. (2)  

Studienautor Dr. Jakob Wachsmuth vom Fraunhofer ISI zieht ein Fazit: „Wasserstoff wird in den kommenden Jahren ein knappes Gut sein. Um den Bedarf der europäischen Wirtschaft nach Wasserstoff zu decken, wird mehr Kooperation zwischen den Ländern nötig sein. Besonders in den großen Industrieländern wie Deutschland könnte dies ein Problem werden, wenn nicht frühzeitig die politischen und finanziellen Weichen für innereuropäischen Handel gestellt werden. Bei der Nutzung von Wasserstoff kann eine klare Prioritätensetzung auf bestimmte Anwendungsbereiche helfen, die vorhandenen, begrenzten Potenziale effizient einzusetzen.“ (2)

Eine klare Prioritätensetzung führte auch dazu, dass  im Kreis Viersen außer in St. Tönis seit über 50 Jahren keine elektrischen Straßenbahnen mehr fahren. Der planerische Vorzug galt in den 1960er und 1970er dem motorisierten Individualverkehr. Heute sind seine Grenzen so offensichtlich, dass Straßenbahnen vielerorts ein Comeback feiern. Sie gelten als Mittel den Stadtraum aufzuwerten und die Aufenthaltsqualität einer City zu verbessern.

Doch für den eher ländlichen Kreis Viersen gibt es andere ÖPNV-Prioritäten. Hier geht es nicht nur um lange Linien und große Haltestellenabstände oder um tageszeitabhängige Busgrößen, sondern auch um verkehrssparsame Siedlungs- und Infrastrukturen, damit lange Wege erst gar nicht notwendig werden oder um multimodale Verknüpfungen zwischen unterschiedlichen umweltschonenden Verkehrsmitteln. Dabei richtet sich der politische Blick nicht nur auf die Wachstumsperspektiven der Kraftfahrzeugindustrie, sondern auch auf die Wachstumsperspektiven menschlicher Bedürfnisse. Das erfordert eine Umverteilung des öffentlichen Raums und eine Umleitung von Geldströmen.  Eine isolierte Antriebswende ist keine Mobilitätswende. In diesem Sinne ein herzliches Willkommen für den CaetanoBus…

Verweise

1. Kreis Viersen. Temporärer Einsatz eines Wasserstoffbusses im Kreis Viersen. [Online] 22. September 2023. https://www.presse-service.de/data.aspx/static/1138684.html

2. Fraunhofer-Institut für System- und Innnovationsforschung. Europa schöpft Wasserstoff-Potenziale derzeit nicht hinreichend aus – neue Studie empfiehlt stärkere Kooperation auf EU-Ebene. [Online] 22. September 2023. https://www.isi.fraunhofer.de/de/presse/2023/presseinfo-13-hypat-wasserstoffpotenziale-europa.html

3. Bundesministerium für Digitales und Verkehr. FAQ zur Umsetzung der Clean Vehicles Directive (CVD) in Deutschland. [Online] 12. Dezember 2022. https://bmdv.bund.de/SharedDocs/DE/Artikel/G/clean-vehicles-directive-faq.html

4. Planersocietät – Stadtplanung, Verkehrsplanung, Kommunikation. Nahverkehrsplan Kreis Viersen - 2. Fortschreibung. [Online] Januar 2018. https://www.kreis-viersen.de/system/files/dokumente/vkv_nahverkehrsplan_kreis_viersen.pdf

5. Hessenschau. Von Wasserstoff zurück zu Diesel: Wiesbaden verkauft Busse mit einer Million Euro Verlust. [Online] 23. März 2023. https://www.youtube.com/watch?v=xLK6L36b2rQ

6. Lauterbach, Jörg. Darum setzten die Städte lieber auf E-Busse. WELT. [Online] 3. September 2019. https://www.welt.de/regionales/hamburg/article199603000/Wasserstoffantrieb-Warum-Staedte-lieber-auf-E-Busse-setzen.html

7. Dahlmann, Don. Wasserstoff oder Akku: Wer gewinnt das Rennen um den Busantrieb der Zukunft? Gründerszene. [Online] 2.. Mai 2022. https://www.businessinsider.de/gruenderszene/automotive-mobility/drehmoment-wasserstoff-akku-bus/

8. HYPAT - H2-Potenzialatlas. [Online] https://hypat.de/hypat/projekt.php

Hinweis

Martin Rottach: Der weite Weg zum Grünen Wasserstoff. Tagesschau.de [Online] 22. September 2023. https://www.tagesschau.de/wirtschaft/wasserstoff-studie-eu-100.html




Freitag, 11. Juni 2021

SVEN als ÖPNV-Brücke und Stromspeicher?

© clker-free-vector-images - pixabay.com

2021 werde das „Shared Vehicle Electric Native“ (SVEN) durch das niederrheinische Grenzland fahren. Das hatte Tafil Pufja auf einer VHS-Grenzlandgrün-Veranstaltung am 11. Oktober 2018 versprochen. SVEN böte die Möglichkeit, individuell zugeschnittene Mobilitätsangebote für den Einzelnen zu entwickeln und diese effizient mit dem Öffentlichen Personennahverkehr zu verzahnen. Das könne helfen, Individualverkehr und damit einhergehende Emissionen zu reduzieren, so der damalige Geschäftsführer der NEW-Re GmbH. 

Wenige Wochen zuvor, am 29. September 2018 hatte Pufja in Düren auf dem grünen Kongress zur Frage „Was kommt, wenn die Kohle geht?“ SVEN als ein Element für die zukunftsfähige Mobilität im Rheinischen Revier angepriesen. SVEN wurde im März 2019 auf dem Genfer Autosalon präsentiert. Im selben Jahr fand auf dem Heavy-Metal-Festival in Wacken eine Premiere statt. Eins der Camps wurde mit grünem Strom aus einer Fotovoltaik-Anlage versorgt. Als Stromspeicher diente ein Nissan-Elektroauto. 

Pufjas Hoffnung ging nicht in Erfüllung. Die NEW sind mittlerweile mit einem Schaden von 1,7 Millionen aus dem Projekt SVEN ausgestiegen. Es war rechtlich nicht haltbar, weil der NEW-Vorstand es im Widerspruch zur Gemeindeordnung und ohne Abstimmung mit den gewählten Vertretungen der Städte Mönchengladbach und Viersen und des Kreises Heinsberg entwickelt hatte. Dass ein örtlicher Versorger sich am Bau von Elektrofahrzeugen beteiligt, ist unvereinbar mit den materiell-rechtlichen Vorgaben der Kommunalverfassung. Der Rat der Stadt Mönchengladbach hatte im März 2020 darum gebeten, in einem Rechtsgutachten auch Haftungsansprüche zu prüfen. Ein ihm am 19. Mai 2021 vorgelegtes Gutachten der Rechtsanwaltskanzlei Luther, bestätigte -so die Mönchengladbacher Stadtverwaltung - dass keinem Organmitglied der NEW AG oder der Smart City GmbH ein haftungsbegründender Sorgfaltspflichtverstoß vorgeworfen werden könne. Offenbar ging es den Beteiligten um schnelle, aber nicht unbedingt um gründliche Entscheidungen. Heute ist Tafil Pufja Geschäftsführer der Willicher Stadtwerke. Die bieten E-Carsharing mit einem BMW i3. 

Noch fehlen die fördernden Rahmenbedingungen, die E-Carsharing zu einem lukrativen Geschäftsmodell machen. Vielleicht könnte SVEN weiterentwickelt werden, wenn die kleinen Autos am Niederrhein nicht nur Lücken im Öffentlichen Personenverkehr füllen und zum sog. modal split beitragen, sondern auch Kapazitäten für das Speichern und Rückspeisen von  - dezentral produziertem - Strom bieten. Dazu hat Windkraft-Pionier Johannes Lackmann im April 2021 einen Text veröffentlicht. Darin plädiert er dafür, Stromversorgung und Mobilität zusammen zu denken. Anstatt für den erneuerbaren Strom teure Kapazitätsreserven zum Beispiel mit Wasserstoff aufzubauen, sei es doch rationaler, die aufwändig produzierten Autobatterien auch für den Stromsektor zu nutzen. 


Sonntag, 30. Juni 2019 

SVEN und die deregulierte Daseinsvorsorge  

© 2018 share2drive GmbH

Das NEW-Prestigeprojekt SVEN scheitert an kommunalen Vorschriften. Dabei passte es zum  „Green City Masterplan Elektromobiltät für die Stadt Mönchengladbach“. Deregulierung und Liberalisierung in den 1990er Jahren sorgten nicht nur für ein Ende der kommunalen Stadtwerke-Monopole, sondern auch für neue Unsicherheiten.  Dies gilt auch die „Niederrhein Energie und Wasser“ (NEW).  Sie entstand aus ehemals acht eigenständigen Stadtwerken,  hat zahlreiche Tochterunternehmen gegründet,  steht unter dem Einfluss von RWE/Innogy und im Wettbewerb mit anderen Anbietern,  will 2025 digitales Vorzeigeunternehmen sein, beschäftigt 2300 Mitarbeiter,  und ist für die Energieversorgung von 780.000 Menschen zuständig. Wer steuert das Unternehmen? Welche Aufgaben hat es? Wer ist für das 2,5 Millionen-Investment rund um SVEN verantwortlich? Wer haftet? Welche Rolle spielen die demokratisch gewählten Kontrolleure zwischen Gemeinnutz und Gewinnorientierung? Wer trifft die verkehrspolitischen Entscheidungen in Viersen oder Mönchengladbach? Der „Fall SVEN“ wirft grundsätzliche Fragen der kommunalen Daseinsvorsorge auf.

Erfolgsrezept SVEN 

Tafil Pufja

Was macht die neuen liberalisierten Stadtwerke in Zeiten des Klimawandels und der Digitalisierung erfolgreich? Das war eine Frage, mit der sich der VHS-Grenzlandgrün-Abend im Oktober 2018 zum „Strom der Zukunft“ beschäftigte. Die damalige Antwort des  NEW-Re-Geschäftsführers lautete „SVEN und die Digitalisierung aller Arbeitsprozesse.“ Pufja warb massiv für das von der Aachener Share2Drive GmbH konzipierte Elektroauto für Carsharing und versprach, dass es ab 2021 die Mobilität am Niederrhein bereichern würde.  NEW-Geschäftsführer Frank Kindervatter und der NEW-Aufsichtsratschef, der Mönchengladbacher CDU-Fraktionsvorsitzende Dr. Hans-Peter Schlegelmilch  präsentierten den Prototyp und das Prestigeprojekt im März 2019 voller Stolz auf dem Genfer Autosalon.  Doch jetzt will die NEW-Gruppe auf Anraten der Düsseldorfer Bezirksregierung und des NRW-Kommunalministeriums aus dem Projekt SVEN aussteigen.

SVEN und das Kommunalrecht

Die Mönchengladbacher Fraktion der Linken hatte den Stein ins Rollen gebracht. Sie ließ die Unterlagen zur Vorgeschichte SVENS von der Düsseldorfer Bezirksregierung prüfen. Es ging um die kommunalrechtliche Bewertung der Beteiligung der NEW Smart City an der share2drive GmbH in Höhe von 2.514.000 €. Einmal durch Übernahme eines Geschäftsanteils in Höhe von 14.000 € und Einzahlung in das Wagniskapital der share2drive GmbH in Höhe von 2.500.000 €. Die damit verbundenen Fragen: Durfte die NEW ohne entsprechende Stadtratsbeschlüsse das Geschäft tätigen? Verstößt das Projekt SVEN gegen die wirtschaftlichen Zulässigkeitsbeschränkungen der Paragrafen 107 und 107 a der NRW-Gemeindeordnung (GO)? Werden die im Paragraf 108 der GO NRW festgelegten Vorschriften über die kommunalen Beteiligungen an  „Unternehmen und Einrichtungen des privaten Rechts“ eingehalten? Lag Sebastian Greif von der IHK Mittlerer Niederhein mit seiner Einschätzung vom 28. August 2018 falsch , dass die „öffentlich-rechtlichen Vorschriften zur Beteiligung von Kommunen an Unternehmen des privaten Rechts soweit ersichtlich beachtet“ wurden?

Die NEW begründete die Notwendigkeit des am 30. Juli 2018 vor dem Aachener Notar Dr. Thomas Förl in einem Gesellschaftervertrag vereinbarten Projekts mit dem Umbruch im Automobilmarkt hin zur Elektromobilität und der notwendigen Vernetzung von Individualverkehr und öffentlichem Personennahverkehr. Über die Tochtergesellschaft NEW Smart City wollte die NEW ihr Engagement im Bereich Car Sharing mit einem Modellprojekt am Niederrhein und einem speziell auf diesen Markt ausgerichteten Fahrzeug ausbauen. Für den Raum Viersen- Mönchengladbach-Heinsberg böte sich  - so die NEW  - die Möglichkeit den ÖPNV zu stärken und gleichzeitig die Elektromobilität mit der Verknüpfung zum Individualverkehr zu fördern. In Betracht kämen zudem  neue Arbeitsplätze durch den Bau von SVEN in der Region.

Grundlage des verkehrspolitisch hochinteressanten Vertrags waren aber nicht entsprechende Ratsbeschlüsse in den an NEW beteiligten Kommunen, sondern lediglich ein Aufsichtsratsbeschluss vom 7. Juni 2018, zu dem  sich Mönchengladbachs Oberbürgermeister Hans-Wilhelm Reiners, Viersens Bürgermeisterin Sabine Annemüller und der Heinsberger Landrat Stephan Pusch enthalten haben. Mit diesem Beschluss sah sich die NEW formal-rechtlich auf der sicheren Seite, da die Gemeindeordnung in erster Linie die Kommunen binde. Das sehen die regionale und die Landesaufsichtsbehörde offenbar ganz anders und halten das Vorgehen der NEW für rechtswidrig.

Die NEW AG gehört zu 39,95 Prozent der Innogy SE (vormals RWE) und zu 60,05 Prozent einer Kommunalholding. Darin haben die Stadt Mönchengladbach mit 63,3 Prozent (z.T. über die EWMG), die Stadt Viersen mit 20,04 Prozent und die Kreiswerke Heinsberg GmbH mit 16,66 Prozent das Sagen. Der NEW-Aufsichtsrat besteht aus fünf Arbeitnehmervertreter(innen) der NEW, fünf Vertreter(innen) der Innogy/RWE, drei der Stadt Mönchengladbach und je einem bzw. einer der Stadt Viersen und des Kreises Heinsberg.   

NEW Smart City

Zum Hintergrund: Die NEW Smart City GmbH entstand zum Januar  2018 aus der ehemaligen NEW Metering GmbH. Der bis dahin bestehende Gewinnabführungsvertrag an die NEW AG aus dem Jahre 2008 wurde zum Januar 2018 aufgelöst. Neuer Geschäftsführer wurde der Willicher Stefan Große Venhaus, ehemaliger Leiter der NEW-Controlling-Abteilung. Fünf Monate nach dem Abschluss des Vertrages mit „share2drive“ erhöhte die Gesellschafterversammlung das Stammkapital von 825.000 Euro auf 2 Millionen. Euro und legte folgendes als Unternehmensgegenstand fest: „die Entwicklung und Förderung von Smart City, das heißt die Integration und die Vernetzung der Bereiche Energie, Energieeffizienz, Elektromobilität, Infrastruktur und Telekommunikation a) durch die Entwicklung und den Betrieb von lT-Lösungen und Produktlösungen im energiewirtschaftlichen Umfeld und Umfeld der kommunalen Daseinsfürsorge, u. a. auf der Grundlage von Energiedaten, b) durch die Entwicklung, den Vertrieb intelligenter Messsysteme ("Smart Meter") und deren Software, c) durch die Bereitstellung von öffentlichen Mobilitätsangeboten durch Vernetzung des ÖPNV mit Elektromobilität im Individualverkehr, d) durch die Entwicklung, den Betrieb, die Wartung, die Weiterentwicklung und den Vertrieb von lT-Lösungen zur Buchung und Abrechnung von Mobilitätsangeboten, e) durch den Bau und Betrieb von Infrastruktur, die den Breitbandausbau und Digitalisierung im urbanen und ländlichen Raum unterstützt.“

Politisch heikel waren die  beiden letzten Sätze der Mönchengladbacher Vorlage Nr. 3325/IX, mit der die Beteiligung der NEW Smart City GmbH an der share2drive GmbH nachträglich am 11. Oktober 2018 im Rat beschlossen werden sollte: „Das Verlustrisiko für die NEW Smart City GmbH ist in der Entwicklungsphase auf 2,514 Mio. Euro begrenzt, wobei mit erfolgreicher Entwicklung des Prototyps eine Werthaltigkeit gegeben ist. Die Beteiligung wurde bereits umgesetzt, um die Weiterentwicklung des Prototyps nicht zu gefährden. Die Beteiligung ist der Bezirksregierung gemäß § 115 GO anzuzeigen und muss von dieser bestätigt werden.“ Letzteres ist wohl nicht geschehen.

NEW Smart City beteiligte sich zudem mit einem Geschäftsanteil von 196.000 € an der Hub2Go GmbH. Zweck der „Mobility-Sharing-Plattform für smarte Städte“: die Entwicklung, der Betrieb, die Wartung und der Vertrieb von IT-Lösungen zur Buchung und Abrechnung von Mobilitätsangeboten. Mit Hub2Go kann SVEN direkt genutzt und ausgeliefert werden, sobald die Serienproduktion startet. Zusätzlich könne damit jedes Car-Sharing-Unternehmen SVEN in sein Angebot integrieren, wenn es Kunde bei Hub2Go wird, teilte der Branchendienst für Elektromobilität electrive.net am 13.3.2019 mit. Für den NEW-Vorstandsvorsitzenden Frank Kindervatter ist es ein durchaus pfiffiges Geschäftsmodell, denn an jeder weltweiten Vermietung mit Hub2Go verdient die NEW mit.

Kommunale Dienstleistungen

Nach dem verspäteten Bekanntwerden des Vertrags gab es öffentliche Kritik  am SVEN-Projekt. Stefan Bresser von der  Mönchengladbacher Kreishandwerkerschaft riet von der NEW-Beteiligung ab.  Er sah in SVEN eine öffentlich geförderte und an die Energieversorgung gekoppelte Konkurrenz zu ähnlichen Carsharing-Angeboten des Kfz-Gewerbes.

Und damit berührt Bresser grundsätzliche Fragen,  die  seit der Deregulierung und Liberalisierung kommunaler Dienstleistungen in den 1990er Jahre entstanden sind und sich mit der Digitalisierung und dem demografischen Wandel  noch verschärfen werden. Was heißt öffentliche Daseinsvorsorge? Was soll von öffentlicher Hand angeboten werden? Welche Leistungen können von Privatunternehmen übernommen werden? Wer bestimmt darüber? Wo liegen die Grenzen der Marktkonformität? Wieviel kommunale Einbindung verträgt die NEW und wieviel NEW-Eigenständigkeit die Kommunalpolitik? Warum hat der regionale Versorger Stadträte und Bezirksregierung nicht vor dem Gang zum Notar eingebunden? Was wird jetzt aus SVEN?

Das Scheitern des NEW-Engagements bei SVEN und dessen Gründe gehen weit über  kommunale Verkehrsfragen hinaus. 

Weitere Informationen

Bürgerzeitung für Mönchengladbach und Umgebung: Reihe "Die Causa Sven"


 

E-Mail
Infos
Instagram