Samstag, 19. November 2016
Zwischen Naturanpassung, Camouflage und Begriffsgrabbing: Christiane Grefe zur Zukunft der Bioökonomie
„Ein Mehr mit weniger“ – Wachstum oder eine „Weniger ist mehr“ – Reduktion? Gesinnungswandel oder greenwashing? Tun was man weiß oder erst mal nicht ganz genau wissen, was man tut? Tank oder Teller? Von der Natur lernen oder Natur nutzen? Flächenfraß für Energiesicherheit? Handel oder Selbstversorgung?
Projekte wie die leuchtenden Straßenbäume, Autoreifen aus Löwenzahn oder Flugkerosin aus Algen klingen faszinierend. Von grüner Revolution ist die Rede. Doch Diskussionen und Streitfragen rund um Bioökonomie sind verwirrend, doppeldeutig und schwer zu bewerten. Das gilt auch für das niederrheinische Grenzland. Wer kann schon genau definieren, was sich hinter „Greenport“, „Agrobusiness“, „Cradle to Cradle“, „Kreislaufwirtschaft“ „functional food“ oder „Leistende Landschaft“ verbirgt und welche Zukunftsmöglichkeiten sie enthalten?
Denn irgendwie geht’s diesseits und jenseits der deutsch-niederländischen Grenze um mehr als um Pflanzen- und Gemüsehandel. Es geht auch um die Zukunft der Industrie, der Landwirtschaft, ja unseres Planeten. Das Zeitalter von Öl, Kohle und Gas geht zu Ende. Rohstoffe werden knapp. Ersatz muss her. Natürliche Ressourcen sind gefragt. Pflanzen und Bio-Abfall liefern Energie, sichern Ernährung und „machen Chemie“. Kaskadennutzung ist angesagt: essen – verfüttern – stofflich verwerten - energetisch nutzen – entsorgen…
Viel beachtet und hoch gelobt
Am vergangenen Mittwoch besuchte Christiane Grefe erstmals den Kreis Viersen. Im Viersener Käffchen stellte sie zum vorläufigen Abschluss einer VHS-Grenzlandgrün-Reihe über „Pflanzen und Wirtschaft“ vor rund 20 Teilnehmern die Thesen ihres Buches zur Diskussion.
Synthetische Biologie und CRISP/cas 9
Dekarbonisierung, große Transformation, green new deal, green growth… was schon in den 1970er-Jahren unter anderen Begiffen global-wissenschaftlich diskutiert wurde, kommt seit der „ Agenda 21“ von 1992 und der Rio +20 – Konferenz im Jahre 2012 allmählich auch im regionalwirtschaftlichen Mainstream an – zumindest rhetorisch.
„Begriffsgrabbing“ – So umschreibt Christiane Grefe die merkwürdige Geschichte der Bioökonomie. Vor 40 Jahren stand „Bioökonomie“ noch für eine wirtschaftliche Selbstbegrenzung durch Naturgesetze. Heute erkennen Umweltschützer den alten Begriff nicht wieder, dient er doch vielfach als PR-Floskel, um Forschungsgelder für die industrielle Biotechnologie und die umstrittene Gentechnik zu mobilisieren und der industrialisierten Landwirtschaft neue Absatzquellen zu erschließen.
Treiber dieser Entwicklung sind die synthetische Biologie oder die sog. Genschere. Das CRISP/cas 9- Verfahren beschert dabei nicht nur der Pflanzenzüchtung neue Perspektiven aber auch neue Risiken. Denn keiner weiß, was passiert, wenn mit den neuen Verfahren des Genome Editing veränderte Lebewesen in die Umwelt gelangen. Ethiker kämen – so Grefe - mit ihren Reflexionen kaum hinterher: „Der erste Gentech-Lachs ist in Amerika als Lebensmittel zugelassen. Gentechnisch veränderte Ziegen produzieren in ihrer Milch ein Mittel zur Vorbeugung von Thrombosen…“
Kaltwaschmittel und künstliches Leben
Etwas sympathischer sind ihr da schon die modernen Kaltwaschmittel. Sie wurden auf der Basis gentechnisch veränderter Enzyme von BRAIN und Henkel entwickelt und sparen viel Heizenergie beim Wäschewaschen. Umstritten sind die Produkte natürlich nicht… Im Buch zeichnet Grefe unter anderem die Debatte um gentechnisch verändertes Öl beim grünen Unternehmen Ecover ( „Für ein glückliches und gesundes Zuhause“) nach.
Big Business
Die rasanten Entwicklungen der Digitalisierung und der Biotechnologie wecken Hoffnungen, die fossilen Ressourcen zu ersetzen, das Klima zu schützen und dabei technologische Vorsprünge und neue Marktchancen zu erobern – z.B. für Biomaterialien oder gesunde Designer-Lebensmittel. Bioökonomie verspricht Energie- und Ressourcensicherheit, mehr Unabhängigkeit von globalen Ereignissen, knappen Rohstoffen und großräumigen Verteilsystemen. Sie möchte Kohle, Öl und Gas ersetzen und die Dekarbonisierung der Wirtschaft vorantreiben. Denn fossile Energien werden bereits entwertet, wie die Diskussionen um Kohlenstoffblasen und Divestment zeigen. Big Business ist im Spiel. Grefe: „Nachdem die großen Anleger den Klimawandel mit verursacht haben, wollen sie nun eben am Kampf gegen ihn verdienen.“
In der Landwirtschaft geraten Hochleistungszucht, Kunstdünger und Herbizideinsatz an ihr Ende. Die Grenzen des Ökosystems sind überschritten. Die Vorbehalte der Verbraucher wachsen. Doch die bioökonomischen Hightech-Verfahren einer digitalisierten Präzisions-landwirtschaft suggerieren dem industriellen Agrarsystem neue Marktmacht. Wie zwiespältig diese Entwicklung zu bewerten ist, macht ein im Buch wiedergegebenes Streitgespräch zwischen Benedikt Härlin (Zukunftsstiftung Landwirtschaft) und Juan Gonzales Valero (Syngenta international – bzw. CropLife International) deutlich.
Weniger ist mehr
Doch neuerdings wandelt sich der Begriff „Bioökonomie“. Mittlerweile gilt er als Dach für sämtliche Wirtschaftsbranchen, die Rohstoffe und Produkte aus biogenen Ressourcen (Tiere, Pflanzen, Mikroorganismen, Algen) gewinnen und entwickeln. Er geht über den Industrie-Ansatz hinaus. Denn die Modernisierung traditionellen Wissens spielt eine wachsende Rolle beim Abschied aus dem fossilen Zeitalter und dem Aufbau einer effizienten Wirtschaft, die im Einklang mit den weltweiten Klimaschutz-und Entwicklungszielen (Sustainable development goals) steht.
Auch der 2009 gegründete Biokönonomierat hat vor vier Jahren seinen zuvor als industrielastig kritisierten personellen Horizont erweitert. 17 Wissenschaftler beraten die Bundesregierung bei der Umsetzung ihrer mit 2,4 Milliarden gut dotierten „Nationalen Forschungsstrategie BioÖkonomie 2030“.
Christiane Grefe lenkt daher den Blick auch auf diejenigen, für die eine biologisierte Volkswirtschaft mehr ist als Wachstumsmotor, Rohstofflager und Ölersatz „für ein ansonsten weiter so“. Sie setzen auf intelligente Verfahren, die die Natur als lebendiges System begreifen, mit dem der Mensch kooperieren kann. Für Grefe eine „Bioökonomie von unten“ nach dem Motto „Weniger ist mehr“.
Für Ihre Recherchen hat sie sich auf Weltreise begeben. Neben kalifornischen eher industrieorientierten Biopionieren untersucht sie viele, weitaus bodenständigere bioökonomische Praktiken vom Zai-System in Burkina Faso über Chouka in Nordindien bis hin zu ReforMist in Bayern. Auch das sei agrarökologische Innovation. „Eine globale Bioökonomie-Politik wird sich auch daran messen lassen müssen, ob sie solche Systeme stärkt – oder ob sie ihnen durch den Aufbau finanzkräftiger Konkurrenz das Wasser abgräbt.“
Forschungspolitik und Bauklötzchenmentalität
Einen Schlüssel für grundlegende bioökonomische Richtungsentscheidungen zwischen neuem Raubbau und Wirtschaftsform der Zukunft sieht Grefe in der Forschungspolitik: „Sie stellt die Weichen für kommende Entwicklungen, steht aber viel zu wenig im öffentlichen Diskurs.“ In welchen Bereichen geforscht und neues Wissen generiert wird, sei schließlich die Grundlage für politische Praxis und wirtschaftliches Handeln.
„Global Gardening“ – der Titel des Buches verweist den Begriff der Nachhaltigkeit ins Reich der wirkmächtigen und amorphen Plastikwörter. In einer Bioökonomie mit Zukunft gehe es vor allem darum – wie ein Gärtner – mit der Natur zu arbeiten, deren Elemente zu vernetzen, Mehrfachfunktionen zu erkennen und sie sinnvoll zu nutzen. Grefes Ansatz erinnerte den Moderator Manfred Böttcher an den niederrheinischen Autor und Gärtner Jürgen Dahl. Er kritisierte im Rahmen von VHS-Veranstaltungen bereits in den 1980er Jahren die Bauklötzchenmentalität der Gentechniker. Deren Idealziel sei es, jeden beliebigen Klotz in jedes beliebige Lebewesen einzubauen. Das habe nichts mehr mit natürlicher Evolution, aber viel mit Verfügbarkeit, Patenten und Tantiemen zu tun…