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27.03.2024
SRU, Umweltbundesamt und der Klimaschutz: Auf Kurs oder am Ende?
Der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) ist ein auf vier Jahre ernanntes unabhängiges Gremium aus sieben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die die Bundesregierung in Umweltfragen beraten. Am 25. März 2024 veröffentlichte der SRU seine aktuellen Berechnungen zum CO2 – Budget Deutschlands. (1)
Das Budget umfasst die Mengen an CO2-Emissionen, die die Staaten bei einer gerechten Verteilung im Rahmen des Pariser Übereinkommens von 2015 emittieren könnten. In dem Übereinkommen hat sich die Weltgemeinschaft das Ziel gesetzt, die Erderwärmung möglichst auf 1,5 Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit zu begrenzen. Die Erkenntnis des SRU: Deutschland habe seine Menge an Treibhausgasen aufgebraucht. „Inzwischen ist unausweichlich, dass wir mehr CO2 ausstoßen als uns zusteht…“ erklärte Ratsmitglied Wolfgang Lucht. (1)
Das widerspricht offenbar der Aussage des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz vom 15. März 2024, dass Deutschland bei den Klimazielen 2030 erstmals „auf Kurs“ sei. (2) Die Treibhausgasemissionen seien 2023 um 10,1 Prozent gesunken. Die Projektion der aktuellen Entwicklungen auf das Jahr 2030 ließen nach Einschätzung des Ministeriums und des Umweltbundesamtes die Schlussfolgerung zu, dass das deutsche Klimaziel, bis 2030 die Treibhausgasemissionen um mindestens 65 Prozent im Vergleich zu 1990 zu senken, erreichbar ist. (3)
Aufgrund welcher Berechnungen und Annahmen Deutschland „auf Kurs sei“, geht aus der ministeriellen Aussage nicht so recht hervor. In welchem Zusammenhang steht der Rückgang der Emissionen mit der kriselnden Wirtschaft, dem Krieg in der Ukraine dem milden Winter und den gestiegenen Verbraucherpreisen? Welche Rolle spielt der Wegfall der Sektorziele? Was für Energiewirtschaft und Industrie gilt, trifft offenbar nicht auf Gebäude, Landnutzung oder Verkehr zu…
Die „UBA-Treibhausgas-Projektionen 2024“ differenzieren nach Sektoren: „Die Zielüber- und -unterfüllung in den Sektoren gestaltet sich dabei heterogen. Die Energiewirtschaft erzielt in den Projektionsdaten 2024 eine kumulierte Übererfüllung von 175 Mio. t CO2-Äq. bis 2030, der Industriesektor von 37 Mio. t CO2-Äq., die Landwirtschaft von 29 Mio. t CO2-Äq. und der Sektor Abfallwirtschaft und Sonstiges von 17 Mio. t CO2-Äq.. Der Sektor Verkehr hingegen verfehlt die kumulierten sektoralen Jahresemissionsgesamtmengen bis 2030 um 180 Mio. t CO2-Äq. und der Sektor Gebäude um 32 Mio. t CO2-Äq.. Der Sektor Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft (LULUCF) leistet im Jahr 2030 keinen Senkenbeitrag. Die im KSG [Klimaschutzgesetz] vorgesehenen -25 Mio. t CO2-Äq. werden deutlich verfehlt. Dies bedeutet auch, dass Deutschland seine Ziele zur EU-Klimaschutzverordnung (Effort Sharing Regulation, ESR) zwischen 2021 und 2030 verfehlen könnte. Insbesondere die Sektoren Verkehr und Gebäude tragen zu einer ESR-Zielverfehlung von 126 Mio. t CO2-Äq. bei. Gleichzeitig ist eine deutliche Verbesserung im ESR-Bereich gegenüber dem Projektionsbericht 2023 erkennbar.“ (4)
Prof. Dr. Manfred Fischedick, Präsident und wissenschaftlicher Geschäftsführer des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie gGmbH, Wuppertal, und Professor an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften der Bergischen Universität Wuppertal hält den Rückgang der Treibhausgasemissionen im Jahre 2023 zwar für erfreulich, doch ein genauer Blick zeige, dass der Emissionsrückgang auf besonderen Entwicklungen beruhe, die sich in den nächsten Jahren auch wieder umkehren könnten: „Hierzu gehören insbesondere deutliche Veränderungen im Stromhandel zwischen Deutschland und seinen Nachbarländern – Deutschland ist von einem Stromexport- zu einem Stromimportland geworden, milde Wintermonate sowie (ungewollte) Produktionsrückgänge in der energieintensiven Industrie. Diese Produktionsrückgänge sind im Wesentlichen eine Folge des auch im Jahr 2023 noch relativ hohen Energiepreisniveaus. So haben die energieintensiven Branchen laut Produktionsindex des Statistischen Bundesamtes im Jahr 2023 rund 10 Prozent weniger produziert als im Jahr 2022. Als klimaschutzorientierte Entwicklungen können dagegen der signifikant an Dynamik gewonnene Ausbau erneuerbarer Energien im Bereich der Stromerzeugung sowie verhaltensbedingte Rückgänge des Energiebedarfs gewertet werden, auch wenn letztere sicherlich in allen Sektoren zu großen Teilen preisinduziert gewesen sein dürften.“ (5)
Der SRU weist darauf hin, dass die Emissionen mit Hilfe eines politisch vereinbarten deutschen CO2 – Budgets sachlich eingeordnet und bewertet werden könnten. Dass dies ein geeigneter Maßstab für transparente Klimapolitik im Rahmen des Pariser Übereinkommens sei, habe auch der Wissenschaftliche Beirat Globale Umweltveränderungen (WBGU) in einem Sondergutachten (6) oder das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss zum Klimaschutzgesetz (7) festgestellt. „Würden Staaten für ihre nationale Klimapolitik jeweils diejenige Argumentationsweise wählen, die sie selbst bevorteilt, addierten sich alle nationalen Beiträge zu erheblich mehr als dem verfügbaren globalen CO2-Budget. Dies ist derzeit noch in erheblichem Maße der Fall.“ (8)
Der SRU kritisiert, dass die Bundesregierung bisher weder ein deutsches CO2-Budget in der Klimapolitik verankert habe, noch nachvollziehbar begründe, „ob und auf Basis welcher Annahmen der Reduktionspfad des aktuellen Bundes-Klimaschutzgesetzes (KSG) mit den Temperaturzielen des Pariser Klimaabkommens im Einklang steht (Transparenzlücke). Die kumulierten Emissionen, die sich aus dem KSG ergeben, liegen deutlich über den CO2- Budgets, die nach Ansicht des SRU einen fairen Beitrag zu den Zielen des Pariser Klimaabkommens leisten (Ambitionslücke).“ (8)
Der SRU hat seine am Verursacherprinzip und am Bevölkerungsanteil an der Weltbevölkerung orientierten Budgetberechnungen an die aktuelle Version des Klimamodells angepasst. Das bilde den kühlenden Effekt von Aerosolen besser als zuvor ab: „Weil aber die Aerosoleinträge aufgrund der sinkenden Verbrennung fossiler Brennstoffe mittelfristig abnehmen werden und deren kühlender Einfluss somit zurückgeht, ist im Ergebnis bei den gleichen Emissionsszenarien mit einer stärkeren Erwärmung zu rechnen, als bislang ohne diesen Effekt prognostiziert worden war. Dadurch verringern sich die verbleibenden Budgets stärker als es allein aufgrund der Emissionen der vergangenen Jahre und der aktuellen globalen Erwärmung der Fall gewesen wäre.“ (8)
Damit seien die noch verbleibenden CO2-Budgets kleiner geworden. Fazit „Die nach SRU-Methode berechnete Obergrenze für einen gerechten Anteil Deutschlands am globalen CO2-Budget für 1,5 °C ist bereits aufgebraucht.“
Ein ähnliches Bild zeige sich für die EU. „Auch hier wurden die Budgets für 1,5 °C bereits überschritten bzw. steht dies kurz bevor.“ (8) Dabei habe der SRU spekulative Maßnahmen wie eine künftige Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre oder Budgetzukäufe im Ausland nicht berücksichtigt.
Aus Sicht des SRU müsse die verbleibende Lücke zum vielfach erklärten Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 °C zu begrenzen, beziffert und politisch diskutiert werden. Sie sollte zum Anlass genommen werden, „sich erneut die katastrophalen Auswirkungen einer zu zögerlich begrenzten Klimaerhitzung vor Augen zu führen und Klimaschutz noch stärker zu priorisieren“ (8). Zum Beispiel könnten faire CO2 – Budgets auf EU- und Länderebene eingeführt werden. „Dies würde den in der Budgetlogik notwendigen Ausgleich temporärer Überschreitungen verbindlicher machen.“ (8)
Der SRU fordert die Bundesregierung auf, CO2- Überschreitungsbudgets auszuweisen, sich zu ihren erzeugten globalen Schäden und Verlusten zu bekennen, sich im Sinne der Klimagerechtigkeit die Verursacher-, Nutznießer- und Leistungsfähigkeitsprinzipien zu eigen zu machen und Reduktionsziele transparent nach Brutto-Treibhausgasemissionen, Aufnahme von CO2 durch Landsenken und nach CO2-Abscheidungstechniken auszuweisen.
Ohne eine wissenschaftlich begründete, transparente und global akzeptierte Berechnungsmethode kann die Frage, ob der deutsche Klimaschutz auf Kurs oder am Ende ist, offenbar nicht beantwortet werden…
Verweise
1. SRU. Umweltrat aktualisiert seine Berechnungen zum CO2-Budget. [Online] 25. März 2024. https://www.umweltrat.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2020_2024/2024_03_PM_CO2_Budget.html?nn=400216
2. Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. Deutschland bei Klimazielen 2030 erstmals auf Kurs [Online] 15. März 2024. https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Pressemitteilungen/2024/03/20240315-deutschland-bei-klimazielen-2030-erstmals-auf-kurs.html
3. Umweltbundesamt. Klimaemissionen sinken 2023 um 10,1 Prozent – größter Rückgang seit 1990. [Online] 15. März 2024. https://www.umweltbundesamt.de/presse/pressemitteilungen/klimaemissionen-sinken-2023-um-101-prozent
4.Umweltbundesamt. Treibhausgas-Projektionen 2024 – Ergebnisse kompakt. [Online] März 2024. https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/11850/publikationen/thg-projektionen_2024_ergebnisse_kompakt_v2.pdf
5. science media center. Treibhausgasemissionen in Deutschland für 2023 und Projektionsbericht 2030. [Online] 15. März 2024. https://www.sciencemediacenter.de/alle-angebote/rapid-reaction/details/news/treibhausgasemissionen-in-deutschland-fuer-2023-und-projektionsbericht-2030/
6. WBGU. Kassensturz für den Weltklimavertrag - Der Budgetansatz. [Online] Juli 2009. https://www.wbgu.de/fileadmin/user_upload/wbgu/publikationen/sondergutachten/sg2009/pdf/wbgu_sn2009.pdf
7. Bundesverfassungsgericht. Beschluss des ersten Senats 1 BvR 2656/18. [Online] 24. März 2021. https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2021/03/rs20210324_1bvr265618.html
8. SRU. Wo stehen wir beim CO2-Budget? - Eine Aktualisierung. [Online] März 2024. https://www.umweltrat.de/SharedDocs/Downloads/DE/04_Stellungnahmen/2020_2024/2024_03_CO2_Budget.pdf?__blob=publicationFile&v=8
Grenzlandgruen - 20:21 @ Akteure und Konzepte, Umwelt und Gesundheit | Kommentar hinzufügen
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