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06.07.2022
EU-Renaturierung: Lebensräume wiederbeleben
Mehrfach verschoben und nun doch veröffentlicht: Am 22. Juni 2022 hat die EU-Kommission eine grundlegende, kostenwirksame Investition in menschliches Wohlbefinden angekündigt. Die Generaldirektion Umwelt stellte ihren umfangreichen Verordnungsentwurf zur Wiederherstellung der Natur (1) vor und will mit einer weiteren Verordnung zur nachhaltigen Nutzung von Pflanzenschutzmitteln die Verwendung chemischer Pestizide bis 2030 um 50 % verringern.
Der Entwurf zu dem so genannten EU-Renaturierungsgesetz ist Teil des Gesamtpakets des European Green deals. Das Gesetz soll bis 2050 Schäden an der europäischen Natur beheben. Der Verordnungsvorschlag legt EU-weit rechtlich verbindliche Ziele für die Wiederherstellung der Natur in verschiedenen Ökosystemen vor. Dieser Vorschlag – so die Kommission - sei ein wichtiger Schritt, um den Kollaps von Ökosystemen zu verhindern und den schlimmsten Auswirkungen des Klimawandels und des Biodiversitätsverlusts vorzubeugen. (2)
Naturschutz allein reicht nicht mehr, es geht um Wiederherstellung. Gesunde Ökosysteme sind für unser langfristiges Überleben, unser Wohlergehen, unseren Wohlstand und unsere Sicherheit von entscheidender Bedeutung. Sie bieten Nahrungsmittel und Ernährungssicherheit, sauberes Wasser sowie CO2-Senken und schützen vor Naturkatastrophen, die mit dem Klimawandel einhergehen. Die EU-Renaturierungsinitiative unterstützt das Konzept „Eine Gesundheit“, mit dem der enge Zusammenhang zwischen menschlicher Gesundheit, tierischer Gesundheit und einer intakten widerstandsfähigen Natur anerkannt wird.
Bisher ist es in Europa nicht gelungen, dem Biodiversitätsverlust Einhalt zu gebieten. Jetzt sollen für jeden Mitgliedsstaat rechtsverbindliche Ziele festgelegt werden, um 80 % der europäischen Lebensräume, die sich in schlechtem Zustand befinden, wiederherzustellen und um alle Ökosysteme zu renaturieren – vom Wald- und landwirtschaftlichen Flächen bis hin zu Meeres-, Süßwasser- und städtischen Ökosystemen.
Bis 2030 sollen für mindestens 20 % der Land- und Meeresgebiete der EU Wiederherstellungsmaßnahmen durchgeführt werden. Wiederherstellung schließe Wirtschaftstätigkeiten nicht aus, betont die Kommission. Es gehe vielmehr darum, im Einklang mit der Natur zu leben und zu produzieren, indem überall für mehr biologische Vielfalt gesorgt wird, und zwar auch in den Gebieten, in denen Wirtschaftstätigkeiten stattfinden, wie z. B. in Wäldern, auf landwirtschaftlichen Flächen und in Städten.
„Jeder Euro, der in die Wiederherstellung der Natur investiert wird, bringt eine Rendite von 8–38 € dank der Ökosystemdienstleistungen, die die Ernährungssicherheit, Widerstandsfähigkeit von Ökosystemen, Klimaresilienz und Anpassung an den Klimawandel und menschliche Gesundheit fördern.“ schreibt die Kommission (2)
Der NABU nannte die Veröffentlichung einen „historischen Moment für den Naturschutz“ (3). Der Geschäftsführer des Umweltdachverbandes Deutscher Naturschutzring, Florian Schöne, kommentierte am 22. Juni: „Die EU-Kommission setzt heute ein längst überfälliges Signal für den Schutz der biologischen Vielfalt und für die Umsetzung des Europäischen Green Deal. Eine weitere Verzögerung wäre angesichts der fortschreitenden Biodiversitätskrise keinesfalls vertretbar gewesen und hätte die Glaubwürdigkeit der EU-Kommission aufs Spiel gesetzt.“ Gerade in Zeiten multipler Krisen könne ein ambitioniertes Naturschutzpaket einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung der Klimakrise und zur Stärkung der weltweiten Ernährungssicherheit leisten, so Schöne. (4)
Scharfe Kritik kommt vom Bauernverband und von CDU/CSU. Für den stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden im Bundestag, Steffen Bilger, ist aktuell nicht der Zeitpunkt für Beschränkungen der Lebensmittelproduktion: „Wer jetzt zusätzliche landwirtschaftliche Flächen aus der Produktion herausnehmen und den Pflanzenschutz pauschal beschneiden will, verkennt den Ernst der Lage.“ Mit ihrer Entscheidung zeige die EU-Kommission „Irrsinn statt Realitätssinn“, meint die CSU-Agrarpolitikerin im Europaparlament, Marlene Mortler. (5)
Ihre Grüne Parlamentskollegin Jutta Paulus verweist auf die Debatten zur Zukunft der EU: „96 Prozent der Europäer*innen fordern bindende Maßnahmen zur Renaturierung. Die Kommission hat diesen Auftrag ernst genommen und liefert einen guten ersten Aufschlag. Ich werde mich im Rahmen der parlamentarischen Verhandlungen dafür einsetzen, dass Schlupflöcher geschlossen, Vorgaben nicht verwässert und Steuerungsmöglichkeiten der Kommission gestärkt werden.“ (6)
Das Gesetzgebungsverfahren könnte sich bis zur Europawahl 2024 hinziehen. Wenn Parlament und Rat einen Kompromiss gefunden haben und das Renaturierungsgesetz in Kraft tritt, wäre es auch im niederrheinischen Grenzland unmittelbar verbindlich…
Verweise
1. Europäische Kommission. Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Wiederherstellung der Natur. COM(2022) 304 final. [Online] 22. Juni 2022. https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=COM:2022:304:FIN&from=DE
2. Europäische Kommission. Der Grüne Deal: Richtungsweisende Vorschläge zur Wiederherstellung der Natur in Europa bis 2050 und zur Halbierung der Verwendung von Pestiziden bis 2030. [Online] 22. Juni 2022. https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/ip_22_3746
3. NABU. NABU zu Renaturierungszielen der EU: Historischer Moment für den Naturschutz. [Online] 22. Juni 2022. https://www.nabu.de/presse/pressemitteilungen/index.php?popup=true&show=34822&db=presseservice
4. Deutscher Naturschutzring. Das neue EU-Gesetz zur Wiederherstellung der Natur [Online] 22. Juni 2022. https://www.dnr.de/aktuelles-termine/aktuelles/das-neue-eu-gesetz-zur-wiederherstellung-der-natur
5. Kokerols, Konstantin. Bauernverband und Union kritisieren Umweltpläne der EU-Kommission. [Online] 23. Juni 2022. https://www.topagrar.com/management-und-politik/news/bauernverband-und-union-kritisieren-umweltplaene-der-eu-kommission-13135474.html
6. Paulus, Jutta;. EU-Renaturierungsgesetz: Ein Rettungsplan für unsere Ökosysteme. [Online] 30. Juni 2022. https://www.jutta-paulus.de/eu-renaturierungsgesetz-ein-rettungsplan-fuer-unsere-oekosysteme/
Grenzlandgruen - 06:54 @ Europa, Akteure und Konzepte, Umwelt und Gesundheit | Kommentar hinzufügen
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