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23.12.2024

IPBES: Nexus und der transformative Wandel für eine nachhaltige Welt

24122301.jpgDass es auf der Erde beim Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen nicht gut zugeht und viele Menschen dringend und grundlegend ihr Leben ändern müssten, um „den Planeten zu retten“, ist keine neue Erkenntnis. Sie ist unter anderem der Arbeit des Weltbiodiversitätsrat zu verdanken. Er hat am 16. und 19. Dezember 2024 zwei Berichte veröffentlicht, die auch für die lokale Nachhaltigkeitspolitik wichtige Erkenntnisse und Handlungsempfehlungen liefern.

Der Weltbiodiversitätsrat IPBES (Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services) ist ein unabhängiges zwischenstaatliches Gremium, das am 21. April 2012 in Panama-Stadt von 94 Regierungen ins Leben gerufen wurde. Der IPBES-Hauptsitz befindet sich in Bonn.

IPBES bietet politischen Entscheidungsträgern und -trägerinnen Einschätzungen über den Wissensstand zur biologischen Vielfalt, zum Beitrag der Ökosysteme für die Menschen sowie zu politischen Optionen und Maßnahmen. IPBES umfasst mittlerweile 126 Staaten und will die besten verfügbaren Erkenntnisse zur politischen Entscheidungsfindung bereitstellen – zum Nutzen für die Menschen und die Natur. Was der IPCC für das Klima, ist IPBES für die Biodiversität…

Der vom IPBES im Mai 2019 veröffentlichte globale Zustandsbericht vermittelte auf 1.148 Seiten eher Unbehagen - mit wissenschaftlich fundierten Fakten zu den massiven Verlusten der biologischen Vielfalt und zu den schwindenden Naturleistungen (1). Aber er zeigte auch, dass lokales, indigenes und wissenschaftliches Wissen darüber vorhanden ist, wie gerechtes Handeln für die Vielfalt des Lebens politisch umsetzbar wäre. Zerstörte Lebensräume, übernutzte Boden- und Wasserressourcen oder der Anstieg klimaschädlicher Treibhausgase zeigen allerdings, dass eine Trendwende zum Besseren bisher ausgeblieben ist.

Die weltweiten Ziele wurden am 19. Dezember 2022 auf der Weltkonferenz von Montreal fixiert:  Schutz von 30% der Landfläche bis 2030, eine nachhaltige Lebensweise für die Menschheit bis 2050 (2). Doch der Weg dahin ist noch offen.

Wie können die Menschen ihre Gesellschaften und Geschäftsmodelle am Laufen halten, wenn die Naturressourcen weniger werden und Ökosysteme an Funktionsfähigkeit verlieren? Wie agieren Menschen mit der Natur? Wie können sie biologische Vielfalt wiederherstellen und dabei gleichzeitig soziale und wirtschaftliche Ziele im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung verfolgen?

Dazu hat IPBES im Dezember 2024 zwei neue Berichte veröffentlicht:

1. Nexus

Der IPBES-Nexus-Bericht untersucht erstmals die komplexen Verflechtungen und Interaktionen zwischen Biodiversität, Wasser, Ernährung, Gesundheit und Klimawandel. Er bietet eine Grundlage für nachhaltige Politikgestaltung. Der Bericht basiert auf einer umfangreichen Analyse von Tausenden wissenschaftlicher Studien und berücksichtigt das Wissen indigener und lokaler Gemeinschaften. (3) Der Bericht wurde am 16. Dezember 2024 auf der 11. Sitzung des IPBES-Plenums angenommen. Er ist das Ergebnis der dreijährigen Arbeit von 165 führenden internationalen Experten aus 57 Ländern aus allen Regionen der Welt. Sein Fazit: Die bestehenden Maßnahmen können die Komplexität der miteinander verbundenen Probleme nicht bewältigen. 

Die beste Möglichkeit, die Silos einzelner Themen zu überbrücken, seien Nexus-Ansätze mit integrierter Entscheidungsfindung.

Der Bericht unterstreicht, dass die Krisen eng miteinander verknüpft sind und sich gegenseitig verstärken. Einzelne Maßnahmen, die sich nur auf einen Bereich konzentrieren, seien oft nicht ausreichend und können sogar kontraproduktiv sein. Derzeitige Ansätze zur Bewältigung dieser Herausforderungen seien oft unzureichend und führten zu hohen ökonomischen Kosten.

Die anhaltenden Naturverluste seien größtenteils auf menschliche Aktivitäten zurückzuführen. Jährliche private Finanzströme in Höhe von 5,3 Billionen US-Dollar und jährliche öffentliche Subventionen in Höhe von 1,7 Billionen Dollar haben direkte und verheerende Auswirkungen auf die Nahrungsmittelsicherheit und Ernährung, die Wasserqualität und -verfügbarkeit, die Gesundheit und das Wohlbefinden, oder die Widerstandsfähigkeit gegenüber dem Klimawandel.

Dabei sei mehr als die Hälfte des globalen Bruttoinlandsprodukts, das sind mehr als 50 Billionen Dollar jährlicher Wirtschaftsleistung weltweit von der Natur abhängig. Doch die Wirtschaftsentscheidungen und Rechnungslegungen priorisieren immer noch kurzfristige finanzielle Erträge und ignorieren dabei die Kosten für die Natur und die Regeln der Verursacherhaftung.

Es ist wohl unstrittig: Wenn sich die derzeitigen Trends zum „Weiter so“ fortsetzen, werden die Folgen für die Artenvielfalt, die Wasserqualität und die menschliche Gesundheit äußerst schlecht sein.

Der Bericht fordert daher einen Paradigmenwechsel hin zu integrierten Lösungen, die die Wechselwirkungen zwischen Gesellschaft, Wirtschaft, Biodiversität, Wasser, Nahrung, Gesundheit und Klimawandel berücksichtigen. Es werden über 70 verschiedene Handlungsoptionen aufgezeigt, die dazu beitragen können, die negativen Auswirkungen zu minimieren und positive Synergien zu nutzen. In Tabellenform werden Möglichkeiten für ein ganzheitliches und nachhaltiges Management der verschiedenen Sektoren erörtert.

Dabei geht es darum, zeitnah die Vorteile des Wirtschaftswachstums gerechter zu verteilen oder beim Konsum, der Produktion oder der Ernährung auch von den Werte- und Wissenssystemen indigener Völker und lokaler Gemeinschaften zu lernen um mit pflanzlicher Ernährung, Lebensmittelverluste und -abfälle sowie den Wasserverbrauch zu reduzieren. 

Der Erhalt wertvoller Ökosysteme oder die Einrichtung öffentlicher und privater Naturschutzgebiete diene der Gesundheit und bekämpfe den Klimawandel und die Auswirkungen extremer Wetterereignisse. Den Boden zu sanieren oder agrarökologische Umstellungen landwirtschaftlicher Produktionssysteme helfe bei der Wasserregulierung, Kohlenstoffspeicherung, Ernährungssicherung.

Umweltverschmutzungen seien besonders in den Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen zu reduzieren, Düngemittel effizienter einzusetzen, der Zugang zu angemessenen Sanitäreinrichtungen müsse gewährleistet werden.

One Health, Gleichberechtigung, integrierte Planungskonzepte, grenzüberschreitendes Wassermanagement, effektives mehrdimensionales Risikomanagement, naturbasierte Lösungen können zu positiven Ergebnissen für Menschen, Tiere und Pflanzen führen.

2. Transformativer Wandel

Im  zweiten neuen Bericht des IPBES geht es um den transformativen Wandel hin zu einer nachhaltigen Gesellschaft. IBPES veröffentlichte am 18. Dezember 2024 neue wissenschaftlich fundierte Aussagen zur politischen Entscheidungsfindung. 101 Expertinnen und Experten aus 42 Ländern haben sie im Rahmen des im Juni 2021 begründeten „Transformative Change Assessment“ erstellt. Der Bericht kostete insgesamt über 1,5 Millionen US-Dollar und stützt sich auf rund 7.000 Referenzen, darunter wissenschaftliche Artikel, Regierungsberichte sowie Produkte und Beiträge aus indigenem und lokalem Wissen. Rund 900 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus 140 Staaten der 11. IPBES-Vollversammlung hatten zuvor in Windhuk/Namibia die Aussagen vom 10. – 16. Dezember 2024 diskutiert und verabschiedet. (4)

Ökologische, soziale und wirtschaftliche Krisen sind miteinander verknüpft und verschlimmern sich wechselseitig. Bisherige Versuche, derartige Krisen getrennt zu bewältigen, hätten sich als unwirksam und kontraproduktiv erwiesen. Dies habe unter anderem zu uneinheitlicher Politikgestaltung geführt.

Politik müsse dazu beitragen, die Herrschaftsverhältnisse von Mensch und Natur, die ökonomische und politische Ungleichheit, die Priorisierung kurzfristiger materieller Ziele, die nicht nachhaltigen Konsum- und Produktionsmuster und die unkoordinierten Innovationssysteme zu überwinden.

Regierungen können starke Wegbereiter für einen transformativen Wandel sein, „wenn sie Politikkohärenz fördern, strengere Regulierungen zum Nutzen der Natur und der Beiträge der Natur für die Menschen in Politikmaßnahmen und Plänen (Regulierungen, Steuern, Gebühren, handelbare Zertifikate) in verschiedenen Sektoren erlassen und durchsetzen, innovative wirtschaftliche (einschließlich finanzieller) und fiskalische Instrumente einsetzen, umweltschädliche Subventionen abschaffen, auslaufen lassen oder reformieren und die internationale Zusammenarbeit fördern.“ (4)

Systemisch orientierte Nachhaltigkeitsmaßnahmen unter Einbeziehung verschiedener Stakeholder jetzt umzusetzen, sei vorteilhafter und kostengünstiger als sie weiter hinauszuzögern. Natur und soziale Gerechtigkeit müssten Vorrang vor privaten Interessen und vorherrschenden Wirtschafts- und Finanzparadigmen haben.

Dabei könne das Wissen und die Sichtweisen lokaler Gemeinschaften und indigener Völker weltweit die gesellschaftlichen Strukturen und Praktiken so verändern, dass mit den Prinzipien Fairness, Rechtmäßigkeit, Pluralismus und Inklusion das Ziel einer nachhaltigen Weltordnung verfolgt werden kann. Von entscheidender Bedeutung seien Transformationen in den Bereichen Landwirtschaft und Viehzucht, Fischerei, Forstwirtschaft, Infrastruktur, Bergbau und Energie. Anerkannt werden müssen die wechselseitige Abhängigkeit von Mensch und Natur und die Ethik der Fürsorge. (4)

IPBES macht deutlich, dass ein grundlegender Wandel in Wirtschaft, Gesellschaft und Technologie erforderlich ist, um die Ziele für eine nachhaltige Entwicklung zu erreichen.

Auch für die kommunale Ebene bedeutet dies, dass Nachhaltigkeitsstrategien hinsichtlich der Einbeziehung der Bürgerinnen und Bürger oder bei der sozialen Gerechtigkeit weit über bestehende Maßnahmen hinausgehen werden müssen: agrarökologische Maßnahmen fördern,  integrierte Landschaftspläne entwickeln, erneuerbare Energien ausbauen, regionale wirtschaftliche Nachhaltigkeit stärken oder allen Altersgruppen Wissen und Kompetenzen im Bereich Nachhaltigkeit vermitteln…

Die IPBES-Berichte bieten eine wissenschaftliche Grundlage für die Gestaltung der Politik auf allen Ebenen. Jetzt kommt es darauf an, Lösungen zu entwickeln und sie umzusetzen. Der nächste IPBES-Gipfel will sich in Großbritannien mit dem Thema Wirtschaft und Biodiversität (5)  beschäftigen.

Verweise und Hinweise

1. IPBES. The global assessment report on biodiversity and ecosystem services. [Online] Mai 2019. https://www.ipbes.net/global-assessment

2. Grenzlandgrün-Blog. Montreal-Kunming Rahmenabkommen, EU-Renaturierungsgesetz und Rewilding. [Online] 18. Juli 2023. https://www.grenzlandgruen.de/Blog;focus=TKOMSI_com_cm4all_wdn_Flatpress_22892279&path=?x=entry:entry230718-222433#C_TKOMSI_com_cm4all_wdn_Flatpress_22892279__-anchor

3. IPBES. Media Release: IPBES Nexus Assessment. [Online] 16. Dezember 2024. https://www.ipbes.net/nexus/media-release

4. IPBES - Deutsche Koordinierungsstelle. Thematisches IPBES-Assessment über die zugrundeliegenden Ursachen des Biodiversitätsverlusts und die Einflussfaktoren transformativen Wandels sowie über Optionen zur Verwirklichung der Vision 2050 für Biodiversität (Assessment zu transformativem Wandel). [Online] 18. Dezember 2024. https://www.de-ipbes.de/files/IPBES_TCA_SPM_Uebersetzung_Kernaussagen.pdf

5. IPBES. Wirtschaft und Biodiversität. [Online] Dezember 2022. https://www.de-ipbes.de/de/Wirtschaft-und-Biodiversitat-2182.html

6. IPBES. Nexus Assessment Report Launch. [Online] 16. Dezember 2024. https://www.youtube.com/watch?v=wi6daXdSuQM&t=24s

7. IPBES. Transformative Change Assessment Report Launch. [Online] 18. Dezember 2024. 
https://www.youtube.com/watch?v=ikmTTTBequI

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Grenzlandgrün-Blog: NBS 2030: Nationale Strategie zur Biologischen Vielfalt beschlossen.[Online] 20. Dezember 2024. 
https://www.grenzlandgruen.de/Blog;focus=TKOMSI_com_cm4all_wdn_Flatpress_22892279&path=?x=entry:entry241220-123939#C_TKOMSI_com_cm4all_wdn_Flatpress_22892279__-anchor

Grenzlandgruen - 20:30 @ Allgemein, Umwelt und Gesundheit, Raumplanung und Regionalentwicklung | Kommentar hinzufügen



 

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