Montag, 20. Januar 2020
„Woher kommt’s – wohin geht’s?“: Geld und Nachhaltigkeit
Der Kreis Viersen finanziert seine Nachhaltigkeitsprojekte über Zuschüsse, Um- und Rücklagen. Die Europäische Investitionsbank setzt auf noch mehr Green Bonds. Die EU-Kommission will eine Billionen Euro für einen Green deal aktivieren und erklärt den Klimaschutz zum wirtschaftlichen Wachstumsmotor. Die Europäische Zentralbank (EZB) schafft im Rahmen ihrer unkonventionellen Euro-Rettungsmaßnahmen über Anleihekäufe etwa 3 Billionen Euro „aus dem Nichts“. Das Wirtschaftsforum in Davos kehrt dem Shareholder-Value den Rücken und ruft den Stakeholder-Kapitalismus aus. Blackrock-Chef Larry Fink kündigt an, seine Investitionen strikt nach grünen Kriterien auszurichten. „Plural orientierte“ Ökonomen stellen staatliches „Helikopter-Geld“ für den grünen Umbau zur Diskussion. Der US-amerikanische Präsidentschaftskandidat Bernie Sanders setzt auf die Modern Monetary Theory, um die Finanzierung seines Green new deal zu erklären. Entsteht gerade der von Professor Martin Wenke beim „VHS-Grenzlandgrün-Abend“ im Oktober 2018 prognostizierte ethisch orientierte Nachhaltigkeitsmarkt oder die von den Bestseller-Autoren Marc Friedrich und Matthias Weik im April 2013 im Schwalmtaler Bürgerhaus prognostizierte Weltfinanzkrise?
1992: Politische Untätigkeit kann teuer werden
Klimawandel, Artensterben, soziale Ungleichheit, Stickstoffkreislauf & Co. Drei Jahrzehnte nach dem „Brundlandt –Bericht“ und der „Agenda 21“ spricht es sich allmählich herum: Kein Klima- und Artenschutz und kein sozialer Ausgleich wird unterm Strich teurer als jetzt massiv in eine grüne Infrastruktur zu investieren. Doch „schwarze Null“, Austeritätspolitik oder Haushaltsicherungen täuschen darüber hinweg, dass unser Geld heutzutage aus wertlosem Papier, aus Metallmünzen oder aus schlichten Datenbankeinträgen bei Privatbanken besteht. Geld wird erst durch Verwendung und Vertrauen in das jeweilige Banken- und Gesellschaftssystem wertvoll. Nach der Finanzkrise oder der Eurokrise des vergangenen Jahrzehnts stellen sich zwei Vertrauensfragen: Was ist systemrelevant? Wer hat warum ein Geldschöpfungsprivileg?
Schon 1992 stand der Rio-Konferenz für Umwelt und Entwicklung die Dringlichkeit der finanziellen Frage des sozialökologischen Umbaus klar vor Augen. Das Kapitel 33 beschäftigte sich mit Finanzmitteln und Finanzierungsmechanismen und fasste zusammen: „Untätig zu bleiben, könnte höhere Kosten verursachen als die Umsetzung der Agenda 21. Untätigkeit lässt den kommenden Generationen einen geringeren Entscheidungsspielraum.“
Die „damals kommende Generation“ ist heute um die 30 und stellt fest, dass ihr finanzieller, ökologischer und sozialer Entscheidungsspielraum eng geworden ist. Es geht bei der Umweltfrage um ein Epochenproblem, das alle Lebensbereiche betrifft. Es geht um unsere Art zu leben und zu wirtschaften. Hubert Markl hat sie vor über 30 Jahren als „parasitär“ beschrieben. Ulrich Brand und Markus Wissen bezeichnen sie heute als „imperial“.
Wohin mit dem Geld?
Fair ist es nicht, wenn die Geldmengen schneller wachsen als die Realwirtschaft, aber nicht in die Sanierung von Schulen, in Maßnahmen zum Klimaschutz oder in den sozialen Ausgleich fließen, sondern in privaten Händen weniger Vermögender landen. Und die sorgen derzeit durch den Kauf von Finanzprodukten, durch Boden- und Immobilienspekulation für noch mehr Geld und noch größere soziale Verwerfungen. Die„öffentliche Hand“ fragt: Woher soll das notwendige Geld kommen? Die Privatanleger wissen derweil nicht, wohin mit ihrem Geld. Und dies gilt dank der Niedrigzinspolitik selbst für Kleinsparer. „Spare in der Zeit, dann hast Du in der Not“. Nicht nur dieser Merksatz ist dem allgemeinen Verschwinden traditioneller Gewissheiten zum Opfer gefallen. Immer mehr Menschen halten die neuen Unsicherheiten und neoliberalen Zurichtungen nur schlecht aus, schimpfen pauschal auf „die Politik“ und „die da oben“. Doch Politik und Demokratie leben von Vertrauen und stillem Einverständnis. Nicht jede Bürgerin will sich mit allen Aspekten komplexer Sachfragen selbst beschäftigen, nicht jeder Konsument möchte erst Wertschöpfungsketten und Produktionsbedingungen analysieren, bevor er herzhaft zubeißen kann.
Sustainable finance - Ende des unpolitischen Geldes?
Ohne demokratische Strukturen, ohne Vertrauen in Politik und Wirtschaft wird eine sozialökologisch orientierte große Transformation nicht funktionieren.
Einige Volkswirte denken über neue Geldtheorien nach. Der IWF warnt vor sozialen Unruhen. Der der billionenschwe re Fondsverwalter„Blackrock“ kündigte seinen Kunden an, nur noch in Nachhaltigkeit zu investieren und sich von ökologisch und ethisch schmutzigen Unternehmen abzuwenden. Doch viele ahnen es: Eine nur renditeorientierte Weltrettung wird nicht funktionieren.
2020 könnte als Greta-Effekt in die Geschichte eingehen. Ziemlich spät erkennen Finanzminister, Investoren und Banken, dass Nachhaltigkeit kein Nischenthema für Ökos ist. Sustainable finance könnte in diesem Jahr zu einem zentralen Thema werden – auch für die kommunale Ebene. Klimawandel, Artensterben oder die soziale Ungleichheit stellen mittlerweile erhebliche und kurzfristige Risiken nicht nur für die Stabilität der gesamten Finanzwirtschaft dar, wie in der vergangenen Woche selbst der Blackrock-Chef Larry Fink oder Kristalina Georgiewa, die geschäftsführende Direktorin des IWF deutlich machten.
Die Wahrheit ist unangenehm. Es stehen auch auf kommunaler und lokaler Ebene größere Veränderungen an als „Prima Klima“-, Stadtradel- und Blühstreifenaktionen.
Doch die vor 20 Jahren begonnenen Lokale Agenda 21 – Prozesse sind nahezu flächendeckend wieder ein geschlafen. Auch um die Transition Town- Initiativen ist es ruhig geworden. Die Energiewende ist ins Stocken geraten. Die Verkehrswende hat noch nicht begonnen. Die Ernährungswende ist zum moralischen Wettbewerb unter Konsumenten verkommen. Die Ideen einer kommunalen gesundheitlichen Verhältnisprävention wurden eingemottet. Marktorientierte Verhaltensprävention ist angesagt. Das Recht auf Gesundheit und Wohlbefinden haben die Kommunen längst an Yogaschulen, Physiotherapeuten und Sportvereine delegiert.
Woher soll das Geld für all die notwendigen Investitionen in öffentliche Infrastrukturen kommen, die es ermöglichen, uns fair und klimafreundlich zu entfalten und die Folgen fataler gesellschaftlicher und ökologischer Nebenwirkungen des kapitalistischen Erfolgsmodells gesund zu überleben? Der dazu notwendige gesellschaftliche Umbau hin zur zirkulären Wertschöpfung wird nicht komplett nach dem Prinzip „Mit grünen Ideen schwarze Zahlen schreiben“ funktionieren. Unendliches Wirtschaftswachstum ist einer begrenzten Welt schwer vorstellbar, selbst wenn sich dies Wachstum inklusiv oder integrativ nennt.
Suffizienz durch Ertragsverluste statt Verzicht
Es geht nicht um freiwilligen Verzicht. Es geht –wie sowohl der Exekutivdirektor der Bankenaufsicht in der BaFin Raimund Rösler als auch Blackrock-Chef Larry Fink schreiben - um den Umgang mit massiven landwirtschaftlichen Ertragsverlusten, Wassermangel, Überschwemmungen und hohen Produktivitätsverlusten durch Hitze. Es geht um versicherungstechnisch kaum erfassbare Risiken durch Kriege, Klimaflüchtlinge und soziale Unruhen. Larry Fink machte am 14. Januar in seinem Brief an die CEO’s deutlich, dass die Finanzwelt vor „einer fundamentalen Umgestaltung steht“ und die Analysten zwingt, ihre zentralen Annahmen zur modernen Finanzwirtschaft zu überdenken: „Werden Städte beispielsweise ihre dringend benötigten Infrastrukturprojekte noch finanzieren können, wenn Klimarisiken eine Umgestaltung des Marktes für Kommunalanleihen erzwingen? Wie geht es weiter mit 30-jährigen Hypotheken, einem wichtigen Baustein der Finanzwirtschaft, wenn Kreditgeber nicht mehr in der Lage sind, die Folgen von Klimarisiken über einen derart langen Zeitraum abzuschätzen? Was passiert, wenn es keinen funktionierenden Markt mehr für Hochwasser- und Brandschutzversicherungen gibt? Und wie entwickeln sich die Inflationsraten und damit auch die Zinsen, wenn die Lebensmittelpreise infolge von Dürre und Überschwemmungen steigen? Wie lässt sich das Wirtschaftswachstum modellieren, wenn die Produktivität in den Schwellenländern aufgrund extremer Hitze oder anderer Klimaveränderungen sinkt?“
Das alles ist keine neue Erkenntnis. Die Gefahr wächst, dass Kipppunkte erreicht werden, nach denen das Abschmelzen der Westantarktis nicht mehr zu stoppen sein wird. Damit geriete „das System“ völlig außer Kontrolle. Alle Finanzmathematiker, Risikoanalysten und Markt- und Trendforscher wären zum Schweigen verdonnert. Dass der Kreis Viersen oder die EU den Klimanotstand ausgerufen haben, ist ein Weckruf und keine Symbolpolitik. Dass sich beide als umlagenfinanzierte Behörden darin leichter tun als Städte, Gemeinden oder Nationen, die für einen klimafreundlichen Umbau ihrer Infrastrukturen direkte Einnahmen generieren müssen, liegt am derzeitigen System von Steuern und Abgaben.
Staatsvertrauen, Bankenkrise und das Geldschöpfungsprivileg
Wenn Geld ohne Vertrauen und Einverständnis nichts wert ist, dann könnte der Staat doch Geld nach Bedarf und öffentlichem Interesse herstellen. Er schafft ja schließlich auch dadurch Vertrauen, dass er privates Eigentum schützt und nicht realisierbare Renditeerwartungen ausgleicht, wenn sie durch staatlich veranlassten ökologischen Umbau ausgelöst werden. Er rettet Banken mit Steuergeld, wenn sie sich so„verzockt“ haben, dass dem Weltfinanzsystem der Zusammenbruch droht. Geldstabilität hängt schließlich wesentlich von den Erwartungen an die Rückzahlungsfähigkeit der jeweiligen Kreditnehmer ab.
Warum sollte daher der Staat den Privatbanken weiterhin das Geldschöpfungsprivileg zugestehen? Ist Geldschöpfung nicht eher eine Aufgabe des Staates? Hat die Ideologie des unpolitischen Geldes ausgedient? Können staatliche Zentralbanken die Geldmenge auch gemeinwohlorientiert über das Steuersystem regulieren? Fließen Geldpolitik und Finanzpolitik zusammen? Oder droht in den 2020er Jahren eine Wiederholung der 1920er Hyperinflation?
Das sind Fragen, die in wenig beachteten Zirkeln der pluralen Ökonomik diskutiert werden.Obwohl Volkswirtschaftslehre (VWL) eine Sozialwissenschaft ist, beschränkt sie sich im akademischen Bereich weitgehend auf neoklassische Theorien. Sie suggeriert, dass Wirtschaftsgesetze und Naturgesetze auf einer Ebene stehen. Damit entfernt sich die VWL zunehmend vom Alltag des realen Wirtschaftens. Mehr Pluralisierung und mehr Erklärungsansätze sind vonnöten.
Amerkungen
Aaron Sahr: Die Rückkehr des Geldes in die Politik. DLF vom 17.11.2019
Larry Fink: Eine grundlegende Umgestaltung der Finanzwelt. Brief an CEO’s vom 14.1.2020
Modern Monetary Theory - A Debate: Randall Wray. The real news.com vom 22.4.2019
Mittwoch, 15. Februar 2017
Was haben Geldanlage und Altersvorsorge mit nachhaltiger Entwicklung zu tun?
Dem Zusammenhang von nachhaltiger Entwicklung und Finanzmärkten widmete sich der VHS-Grenzlandgrün-Abend mit dem grünen Landtagsabgeordneten Martin-Sebastian Abel, dem Vorstandsvorsitzenden der Volksbank Viersen Jürgen Cleven und dem Anlageberater Hans-Detlev Speckmann. Die Überschrift “Divestment und Investment – Über den nachhaltigen Umgang mit Geld” lockte 24 Männer und Frauen aus dem gesamten Kreis Viersen in den Dülkener Seminarraum der Volksbank Viersen.
Altersvorsorge
“Fossil free”, “Divestment”, “Kohlenstoffblase” oder “350.org” sind Begriffe, die derzeit in der “Klima- und Nachhaltigkeitsszene” für Diskussionsstoff sorgen. “Factory “, das von der Kathy-Beys-Stiftung und dem Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie herausgegebene Magazin für nachhaltiges Wirtschaften, widmete im vergangenen Jahr dem Divestment ein eigenes Schwerpunktheft. Aber außerhalb dieser Szene sind solche Begriffe und Thesen noch weitgehend unbekannt. Das zeigte sich auch im Sommer 2016 bei der Diskussion um die RWE-Aktien im Kreis Viersen. Bei der Diskussion um den verlustreichen Ausstieg aus diesem Investment spielte der damit verbundene kommunale Beitrag zur globalen Klimapolitik eine untergeordnete Rolle. Auch die meisten Grenzlandgrün-Teilnehmenden hatten vor dem Abend noch nichts von diesen Begriffen gehört oder gelesen wie Moderator Manfred Böttcher bei einer Eingangsbefragung feststellte. Doch am Ende des Abends herrschte Einigkeit: Der Klimawandel birgt neben ökologischen und gesellschaftlichen offenbar auch finanzielle Risiken, die jeden in seiner Geldanlage oder Altersvorsorge betreffen können.
Nüchterne Analysen zur eigenen Lebenssituation, zu möglichen Renditen und Risiken sind Ausgangspunkte einer vernünftigen Anlagestrategie. Hans-Detlev Speckmann rät dazu, nur in Geldanlagen zu investieren, die man versteht, deren Kosten und Gebühren angemessen und deren Kriterien transparent und nachvollziehbar sind. Er empfiehlt den Risikoanteil auf “80 minus Lebensalter” zu begrenzen, das Risiko zu streuen, auf keinen Fall aus vergangenen Renditen auf zukünftige Gewinnmöglichkeiten zu schließen und in Euro-Beträgen statt in Prozent zu rechnen. Dies gelte auch für die nachhaltigen Geldanlagen nach den ESG-Kriterien. Sie ermöglichen soziale, ökologische und ethische Aspekte bei der Geldanlage einfließen zu lassen. Um seriöse von unseriösen Anbietern zu unterscheiden, solle man möglichst viele Informationen sammeln, z.B. über die Verbraucherzentrale, über Ökotest oder das “Forum Nachhaltige Geldanlagen”.
Speckmanns Grundregeln der Geldanlage kann Jürgen Cleven nur unterstützen. In seiner Präsentation macht er deutlich, wie tief verwurzelt die Volksbank Viersen mit der Region Niederkrüchten – Schwalmtal – Viersen ist. Blickt sie doch zurück auf eine Geschichte seit 1894 als selbständige Handwerker und Landwirte nach und nach Spar- und Darlehnsvereine zur finanziellen Selbsthilfe gründeten. Heute ist daraus eine Genossenschaftsbank mit knapp 10.500 Mitgliedern, acht Geschäftsstellen und 200 Mitarbeitern geworden. Die Bilanzsumme 2016 betrug 814.504.000 Euro. Ca. 120.000 Euro spendete die Volksbank Viersen im vergangenen Jahr für soziale regionale Zwecke. Dass der Bank der Gedanke der Nachhaltigkeit nahe liegt, macht Cleven an zwei Beispielen deutlich: Zum einen erleichtere das Solarpotenzialkataster für Schwalmtal, Niederkrüchten und Viersen jedem Hausbesitzer die Entscheidung, ob sich Photovoltaik-Anlagen für sein Haus lohnen können. Zum anderen ermögliche das Sparen mit dem Union-Investment - Fonds “UniNachhaltig Aktien global” auch in zinslosen Zeiten eine ethisch, ökologisch und sozial ausgerichtete Geldanlage mit guter Rendite. Ingo Speich, der bei der Unioninvestment tätige Nachhaltigkeitsmanager, habe sich mittlerweile zum Ökoschreck bei Aktionärsversammlungen entwickelt.
Für alle Anlageempfehlungen gilt: “Erst informieren, dann investieren”. Im Dezember 2016 wies z.B. die freie Autorin Nadine Oberhuber in einem ZEIT- Artikel darauf hin, dass manche Fonds den Nachhaltigkeitsbegriff sehr weit auslegen. Genaue Testergebnisse für Nachhaltigkeitsfonds (Stand Oktober 2016) sind hier abrufbar. Weitere Bewertungskriterien finden sich bei den von der der International Capital Market Association entwickelten Green Bond Principles (Download). Nachhaltige und nicht nachhaltige Bank-Aktivitäten beobachtet und analysiert das internationale Netzwerk banktrack.org, auf das Grenzlandgrün-Referent Martin Sebastian Abel hinweist: “Es deckt Verstrickungen und Zusammenhänge im Finanzsektor auf. Spannend!”
Raus aus den Fossilen – Rein in die Nachhaltigkeit?
Seit 2013 macht ein neues Wort die Runde: Kohlenstoffblase. Entstanden ist der Begriff aus Untersuchungen der Londoner Denkfabrik für den Finanzsektor “Carbon Tracker”. Unter der Kohlenstoffblase versteht sie die Menge aller kohlenstoffhaltigen Energieträger der Erde. Diese Vorkommen haben einen bestimmten ökonomischen Wert. Der ist abgebildet in den Bilanzen von Exxon, BP, Shell und anderer Energiegiganten. Wenn aber die Ziele der Pariser UN-Klimakonferenz von 2015 ernst genommen werden, muss der überwiegende Teil der Öl-, Gas- und Kohlevorräte im Boden bleiben. Damit würde die “Kohlenstoffblase” platzen und die Aktienwerte der Unternehmen dramatisch sinken. Betroffen sind aber nicht nur Aktien von Kohle-, Öl- und Gasfirmen, sondern auch andere CO2-intensive Branchen.
Martin-Sebastian Abel hatte seine Präsentation kurzfristig um einige überregionale Fragestellungen erweitert, die ursprünglich Stefan Rostock (Germanwatch) beim Grenzlandgrün-Abend erörtern wollte, aber krankheitsbedingt nicht konnte. So konnte Abel die Carbon-Tracker-Untersuchungen mit Hinweis auf das European Systemic Risk Board (ESRB) bestätigen. Dieses seit 2010 bei der Europäischen Zentralbank angesiedelte Institut zur Risikoanalyse des europäischen Finanzmarkts kam in einer im Februar 2016 veröffentlichten Studie zu den Systemrisiken einer kohlenstoffarmen Wirtschaft zu ähnlichen Ergebnissen. Abel, finanzpolitischer Sprecher der grünen Landtagsfraktion, definiert: “Divestment meint, die Finanzanlagen aus Kohle, Öl und Gas abzuziehen und in klimafreundliche Bereiche investieren.“
Der grüne Europaabgeordnete Reinhard Bütikofer hat eine anschauliche Divestment-Info-Grafik mit Hinweisen auf persönliche Handlungsoptionen auf seine Homepage gestellt. Divestment wächst: die Stanford-University mit einem Volumen von 21 Milliarden Dollar, die Harvard-University mit 18 Milliarden Dollar, der Norwegische Pensionsfonds mit 734 Milliarden Euro, die Allianz-Versicherung mit 4 Milliarden Euro, zahlreiche kirchliche Investoren und ab 2018 auch der neue NRW-Pensionsfonds mit einem Volumen von 10 Milliarden Euro.
Dies ist auch der Initiative des 31-jährigen Parlamentariers zu verdanken. Er hat im NRW-Landtag den Entschließungsantrag Nr. 16/10891 mit auf den Weg gebracht. Darin verpflichtet sich das Land NRW die Mittel des neuen Pensionsfonds nachhaltig und fair zu investieren. Kriterien sind u.a. die 10 Prinzipien des Global Compact der Vereinten Nationen. Martin-Sebastian Abel unterstützt auch die kommunalen Parlamentarier bei lokalen Divestment-Initiativen. Gemeinsam mit Wibke Brems, der energiepolitischen Sprecherin der grünen Landtagsfraktion, hat er einen Musterantrag Divestment verfasst.
Dass auch Divestment- und Nachhaltigkeitsthesen Marktrisiken und politischen Gegenkräften ausgesetzt sind, wurde in der Diskussion zwischen dem Publikum und den drei Grenzlandgrün-Referenten deutlich. Sie warf viele weitere offene Fragen zur Klima-, Industrie- und Finanzpolitik Donald Trumps oder der Volksrepublik China auf, hielt den “Nullzins” oder die derzeitige Geldmarktpolitik der Europäischen Zentralbank für unberechenbar, weil sie täglich Milliardenbeträge in die Märkte pumpt und dabei vor dem Kauf klimaschädlicher Unternehmensanleihen nicht zurückschreckt und konnte nicht einschätzen, inwieweit “die Märkte” Kohlenstoffblasen und Divestment-Tendenzen bereits in die derzeitigen Aktienkurse eingepreist haben.
Fazit des Grenzlandgrün-Abends: Nachhaltiger Umgang mit Geld wird komplexer und widersprüchlicher. Denn vieles wird unsicherer, hängt mit vielem zusammen und kann neue Wechselwirkungen erzeugen. “Bildung ist die beste Investition” hat der Wissenschaftsjournalist Manfred Ronzheimer seinen Beitrag im “Factory“-Magazin zum Divestment überschrieben. Offenbar können “Erfahrungsdivestment” und “Wissensinvestment” gute Erträge einbringen. Das “Factor y “-Magazin “Divestment” endet übrigens mit einem Zitat des chinesischen Politikers und Philosphen Guan Zhong aus dem Jahre 645 v. Chr.: “Planst Du für ein Jahr, so säe Korn, planst Du für ein Jahrzehnt, so pflanze Bäume, planst Du für ein Leben, so bilde Menschen.”