Montag, 22. Januar 2018
Metropolregion Rheinland: „Och e Jeföhl“
Von ihrer traditionellen Ausrichtung, gleichwertige Lebensbedingungen in allen Regionen herzustellen, hat sich die Raumordnungspolitik weitgehend verabschiedet. Auch der Wirtschaftsförderung geht es immer weniger darum, einzelnen Unternehmen bei der kostengünstigen Ansiedlung behilflich zu sein. Seit gut zwei Jahrzehnten ist „Standortwettbewerb“ angesagt. Wirtschafts-förderungs- und Raumordnungspolitik sollen Mensch und Umwelt einer Kommune, einer Region, eines Staates oder Kontinents so herrichten und präsentieren, dass internationale Kapitaleigner zu Investitionen verlockt werden. Es führt allerdings zu manch einer raumplanerischen, gesellschaftlichen oder politischen Verzerrung, wenn jeder potenzielle Wirtschaftsstandort versucht sich attraktiv zu präsentieren, indem er Imagekampagnen startet und seine steuerlichen, sozialen und ökologischen Standards wettbewerbsfähig absenkt. Wie „Grenzlandgrün“ am Beispiel des Düsseldorfer Regionalplans gezeigt hat, reduzieren Kommunen unter dem Gesichtspunkt des Standortwettbwerbs ihre raumplanerischen Ansprüche allzu oft auf ein schlichtes „Noch mehr Fläche für Siedlung und Gewerbe“.
"Mehr PS für den internationalen Wettbewerb"
Seit fast einem Jahr versucht sich der Verein „Metropolregion Rheinland“ zwischen „Regionale 2025“ und den Metropolregionen Köln-Bonn, Rhein Ruhr und NRW international zu profilieren. Er sollte als neue Marke „Mehr PS für den internationalen Wettbewerb“ schaffen. Dass er Gefahr läuft, eher zur Lachnummer zu werden, machte jüngst eine Diskussion des Kölner Presseclubs deutlich. Selbst die üblichen Wirtschaftsfloskeln vom „guten Weg“, dem „spürbaren Aufwind“ oder der „maßgeblichen Initialzündung“ gehen den Initiatoren nicht mehr über die Lippen. Im Gegenteil: Rhein-Sieg-Landrat Sebastian Schuster machte bereits am 21. August 2017 seinem Ärger Luft: „Fünf Monate nach der Gründung gab es noch nicht einmal eine Mail- oder eine Postadresse. Nach fünf Monaten! Das bekommt jeder ehrenamtlich geführte Verein schneller hin.“ Damals hoffte er noch: „Wir haben jetzt zwei Interims-Geschäftsführer, und es geht voran.“
Aber auch mit Ron Brinitzer und Christian Zaum kam der mit so viel Verve gestartete Verein nicht vom Fleck. Knapp ein Jahr nach der Gründung des Vereins sei kaum was passiert lautete die ernüchternde Bilanz des Bonner Generalanzeigers . Selbst das in der Vereinssatzung vorgesehene Kuratorium habe sich bisher nicht konstituiert, kritisieren viele Beobachter.
Es ist auch nicht einfach diese „polyzentrische Metropolregion Rheinland“ nach außen als Einheit „zu vermarkten“. Sie ist diffus, verfügt über zwei Planungsbezirke, über ländliche Räume und großstädtische Agglomerationen, über deutsch-niederländische Übergangszonen und ÖPNV-Übergangstarife, über Chem- und Naturparke, Braunkohlen- und Jagdreviere über Güllelogistik und Staushows…
Seit dem 1. November 2017 leitet Dr. Ernst Grigat die drei-, demnächst vierköpfige Geschäftsstelle in der 18. Etage des Kölner Triangle Hochhauses. Er findet seinen neuen Job zwar „interessanter als es vorher aussah“, lieferte aber bisher sowohl im Presseinterview als auch bei der Kölner Veranstaltung wenig Konkretes. Das könne er „nach dreieinhalb Arbeitstagen“ - noch nicht.. Ob er in seinen ersten 78 Tagen tatsächlich nur dreieinhalb Tage der Metropolregion gewidmet hat, blieb im Kölner Presseclub offen: “Wir sind dran“. Die Geschäftsstelle beschäftige sich mit Identitätsbildung und Vermarktung des Rheinlands und baue Strategieteams und Epertisenzentren auf.
Mehr prominente Köpfe für den internationalen Wettbewerb
Die ehemalige Düsseldorfer Regierungspräsidentin Anne Lütkes – sie trieb 2016 gemeinsam mit ihrer Kölner Kollegin Gisela Walsken die Gründung des Vereins voran – vermisst daher immer noch die prominenten Köpfe, die die Metropolregion präsentieren. Was diese Köpfe allerdings tun sollen, blieb in der Kölner Diskussion seltsam diffus: „Das Rheinland in Berlin und Brüssel präsentieren“ – wie Dr. Reimar Molitor (Region Köln/Bonn e.V.) empfahl? Oder „den Fachverstand organisieren, Bundesmittel abrufen und Wirkung nach innen entfalten“ ? – was Dr. Werner Görg (IHK Köln) bevorzugt. Anne Lütkes hingegen fordert dass der Verein an der Entwicklung einer modernen Mobilität mitwirkt. Der Raumforscher Prof. Dr. Hans Heinrich Blotevogel wünscht sich Debatten und Diskurse sowie interne Vernetzung. Andere bevorzugen die Abgrenzung vom Ruhrgebiet oder einen Forschungsverbund mit der Bündelung des wissenschaftlichen Know hows. Aus dem Publikum heraus werden die Grenzen der Metropolregion, die Kirchturmpolitik der IHKs, der fehlende Verkehrsverbund, ein Mangel an Visionen oder die Wahrnehmung des linken Niederrheins als ökologische Ausgleichsfläche kritisiert. Ein Teilnehmer vermutet im globalen Standortwettbewerb die fatale Grundhaltung „Wir wollen die Welt, aber die Region interessiert uns nicht.“ Ein anderer empfiehlt die Strategie der rheinischen Kirche: „Das Paradies ausmalen, um den Klingelbeutel zu füllen“. Dr. Hildegard Stausberg, Vorsitzende des Kölner Presseclubs, hält während ihrer Moderation einen tagesaktuellen FAZ-Artikel in der Hand, in der sich der Kommentator mit den schwärenden Wunden am Körper der Stadt Köln und deren Heilungsversuche beschäftigt: Wahlpannen, Stadtarchiv-Grube, Sanierung von Oper und Schauspiel, Silvesternacht 2015. „So bitter es ist, Köln hat im Wettbewerb mit anderen Großstädten wie Hamburg und München längst den Anschluss verloren.“ Die Politik habe aber erkannt, dass sich in Köln was ändern müsse und den Stadtdirektor und die Verkehrsdezernentin aus einem „Dorf“ angeworben. Der Stadtrat hatte 2016 Andrea Blome und Stephan Keller aus Düsseldorf nach Köln geholt. Auch eine Facette der Rheinlandintegration.
Mehr Gefühl für den internationalen Wettbewerb
Da der Metropolregion seit September 2017 ohnehin die Organisation des Rheinischen Kultursommers obliegt, ließ sich Dr. Grigat gegen Ende des Abends doch noch zu einer Ankündigung hinreißen: ,Er wolle demnächst mit „Rheinkultur“ das Rheinland als „Jeföhl“ fördern.
Rheinische Gefühlsförderung: Das haben Willy Millowitsch, Konrad Adenauer, Joseph Beuys, Hanns Dieter Hüsch oder Franz-Josef Antwerpes über Jahre erfolgreich betrieben und damit Konrad Beikircher den Stoff für seine rheinischen Analysen geliefert.. In den „Musenblättern“ schreibt Beikircher, dass das Mañana-Prinzip im Rheinland sprichwörtlich geworden sei: „Küste hück net, küste morje“ – ein Prinzip, dem der Verein „Metropolregion Rheinland“ bisher konsequent gefolgt ist.
Beikircher: „Allein diese Lebenshaltung katapultiert den Rheinländer weit aus der geschlossenen Reihe jener Deutschen heraus, die in der Verwaltung eine Tugend, in der Wahl eine Pflicht und im korrekt gescheitelten Baby eine Religion sehen. Der Rheinländer ist aus der Mischung romanischer und germanischer Gene entstanden, er ist - könnte man etwas übertrieben sagen - der eigentliche Europäer: römische Gelassenheit paart sich mit französischem savoir vivre und deutschem „es muß weitergehen“, aber eben nur rheinisch – „irjendswie“. Er ist wie Wasser: setze ihm Grenzen - er wird einen Weg finden.“
Die Grenzen des Vereins „Metropolregion Rheinland“ wurden spätestens im „Kölner Presseclub“ deutlich. Ideen zu einer Grenzüberwindung finden sich in ihrem Norden:.„Wer Phantasie studieren möchte, der sollte ein paar Semester an den Niederrhein kommen und dann als Lohengrin wieder in die große Welt fahren“ riet einst Hanns-Dieter Hüsch. Der Rheinländer Joseph Beuys sah sich selbst als Nachfahre des berühmten Schwanenritters.
Zum rheinischen Gefühl gehört es offenbar nicht, Regionen für Investoren herzurichten sondern eher - im Sinne von Beuys - die schöpferische Freiheit des Einzelnen zu befreien. Für die neoliberale Kopfgeburt „Metropolregion Rheinland“ ist die Kölner Geschäftsstelle mit ihrem innovativen lohengrinschen Noname – Standortmarketing wahrscheinlich doch „auf gutem Weg“:
„Nie sollst du mich befragen,noch Wissens Sorge tragen,woher ich kam der Fahrt,noch wie mein Nam’ und Art.“
Samstag, 30. Dezember 2017
Metropolregion Rheinland: Et kütt wie et kütt
Im März gab er überraschend seine Stelle als Chempark-Leiter auf und verließ nach 26 Jahren den Bayer-Konzern, seit Juli hat er den Leverkusener Löwen und seit November ist er Geschäftsführer der Metropolregion Rheinland e.V.: Dr. Ernst Grigat (Jg. 1961). Mitte Dezember stellte er sich und seine Ziele im Kölner Regionalrat vor. Die grüne Fraktion berichtete darüber. Die Homepage der Metropolregion ist seit Monaten online. Doch insgesamt ist es seit der Gründung im Februar 2017 ruhig geworden um die Metropolregion Rheinland und ihre Arbeitsgruppen. Im Initiativkreis Europäischer Metropolregionen oder bei der METREX spielt das Rheinland als gesonderte Metropolregion keine Rolle. Wer sich am - in der Vereinssatzung vorgesehenen - Kuratorium beteiligen soll, ist immer noch offen.
Kulturpolitiksommer 2018
Die Mitgliederversammlung am 29. September beschloss unter anderem, dass die Metropolregion ab 2018 den „Rheinischen Kultursommer“ koordiniert und sich im September auf dem DLD-Innovation-Festival in Tel Aviv präsentiert. Ob es bis dahin gelingt, das Profil des Vereins zu schärfen und dem interessierten Publikum den Unterschied zwischen den Metropolregionen Ruhr, Rhein-Ruhr und Köln/Bonn zu verdeutlichen, steht noch in den Sternen. Die feierliche Staffelübergabe „Rheinischer Kultursommer“ von der „Region Köln/Bonn“ zur „Region Rheinland“ wurde bereits im September vollzogen. Doch bis heute ist unsicher, ob der Kultursommer im kommenden Jahr überhaupt stattfindet.
Vor einem Jahr gab es Indizien, dass einige Akteure aus CDU und IHK eine Metropolregion Rheinland als politisches Gegengewicht zur angeblich ruhrgebietsorientierten rot-grünen Landesregierung aufbauen wollten. Nach der Landtagswahl im Mai ist aus diesem Projekt wohl "die Luft raus". Nunmehr könnte es bei der Metropolregion Rheinland wohl eher um eine administrative Neurordnung der Mittelebene aus dem Landschaftsverband Rheinland und den Regierungsbezirken Köln und Düsseldorf gehen. Regionale Kulturpolitik könnte ein erstes Arbeitsfeld sein.
Verflechtungsräume und Bindestrichbewusstsein
Was die Wirtschaft betrifft , ist es ohnehin einfacher, NRW als ganzes „zu vermarkten“. Der Landesentwicklungsplan (S. 24) fasst die „Metropolen“ Ruhr und Rheinland folgerichtig eher als interkommunales Hilfsmittel und Netzwerk innerhalb einer Metropolregion NRW auf. Auch die Ministerkonferenz für Raumordnung betont immer wieder, wie gut sich die von ihr festgelegten 11 deutschen Metropolregionen von europäischer Bedeutung bewährt haben. Ihr geht es darum das Konzept der Europäischen Metropolregionen mit grenzüberschreitenden Verflechtungsräumen, wie die Euregio Maas-Rhein auszubauen. Insofern zeigt Vincent Pijnenburgs Entwurfsstudie zur „Grenzland-Planung“ derzeit mehr regionale Entwicklungsperspektiven auf als die „Metropolregion Rheinland“. Besonders aufschlussreich: Planungsszenarien, die von einem Comeback der innereuropäischen Grenzen ausgehen.
In seiner auf „The Düsseldorfer“ veröffentlichten fünfteiligen Serie begibt sich Rainer Barthel auf eine launige Spurensuche der Rivalitätsursachen zwischen Köln und Düsseldorf. Das größte Missverständnis, dem viele Düsseldorfer und Kölner unterliegen, bestehe darin zu glauben, beide Städte gehörten zum Rheinland so Barthel. Für Ihn gehört Düsseldorf zum Bergischen Land.
Man kann Regionen natur- und humanwissenschaftlich definieren oder auch politisch festlegen. Ökonomie, Geschichte, soziokulturelle Phänomene wie Sprache, Religion oder Küche können ebenso abgrenzen wie geologische, hydrologische oder bodenkundliche Kriterien. Derartige Grenzen sind menschliche Konstrukte, die verändert und für politische Ziele genutzt werden können. Hinter einer Logistikregion steht nun mal ein anderes Weltbild als hinter einer gentechnikfreien Region oder einem Biospärenreservat. Der mentale Raum zwischen „Wertschöpfungspotenziale nutzen“ und „Gut leben“ ist immens groß.
Am langsam entstehenden „NRW-Bindestrich-Bewusstsein“ arbeiten Düsseldorf und Köln seit Jahrzehnten gemeinsam. Die einen in der Landesregierung, die anderen im WDR. Ein neues „Rheinland-Bewusstsein“ ohne Mainz, Loreley oder Straßburg ist möglich, aber sinnlos.
Dienstag, 21. Februar 2017
Anschlusstickets vor dem Aus?
Seit 2009 in Arbeit – gestern gegründet: Die Metropolregion Rheinland. Sie vereint 8,5 Millionen Menschen aus 11 Großstädten und 13 Landkreisen der Regionen Aachen, Köln-Bonn und Düsseldorf. Was vorher strittig war, ist vorerst entschieden: Der Kreis Wesel und die Stadt Duisburg sind dabei. Da beide auch dem Regionalverband Ruhr angehören, rückt die Idee einer gemeinsamen Regionalplanung innerhalb der Metropolregion Rheinland erst mal in weitere Ferne. Aber es bleibt genug zu tun, bis von einer Region Rheinland die Rede sein kann. Ein erster kleiner Schritt dahin wäre die Harmonisierung der Bus- und Bahntarife und die Abschaffung der lästigen “Anschlusstickets” zwischen den Verkehrsverbünden Aachen Rhein-Ruhr, Rhein-Sieg…
Montag, 12. Dezember 2016
Metropolregion Rheinland: Wat soll dä Kwatsch?
Vereinsmeier suchen nach sozialer Anerkennung und gelten als typisch deutsch. Dies gilt auch für Forschungsarbeiten über Funktionsprobleme im Spannungsverhältnis von gesellschaftlichen Erosionen, politischem Handeln und bürokraktischer Herrschaft. Beide könnten ab 20. Februar 2017 neuen Rückenwind erhalten. An diesem Tag wollen Kommunalbeamte und IHK-Funktionäre aus dem Raum Aachen- Köln-Bonn-Düsseldorf den Verein "Metropolregion Rheinland" offiziell gründen. Dies war ursprünglich für November 2016 geplant , löste aber zum Teil heftige, immer noch nicht beendete Debatten in den 13 Kreisen und 10 kreisfreien Städten der Region aus. Rheinische Kommunal- und Regionalpolitiker*innen sorgen sich um ihre Einflussmöglichkeiten auf einen Lobbyverein, der sich bewusst gegen den Regionalverband Ruhr stellen und innerhalb Nordrhein-Westfalens den Konkurrenzkampf um Wirtschaftsansiedlungen, Infrastruktur und Fördermittel verstärken möchte. Der Entwurf zum Arbeitsprogramm öffnet dem Verein Zuständigkeiten für wesentliche Themenfelder der Entwicklung einer 12.300 km² und 8,5 Millionen Einwohner umfassenden Region.
Schon vor ihrer Gründung übt die Metropolregion Rheinland als ein Initiativkreis aus Kommunalbeamten und Wirtschaftskammervertretern politischen Einfluss aus. Ihre Unterarbeitsgruppe "Verkehrsprojekte" macht sich seit 2013 für die Westverlängerung der Regiobahn S28 stark. Die würde Bahnpendlern aus dem Kreis Viersen eine bessere Düsseldorf-Anbindung bescheren. Die Metropol-Arbeitsgruppe fiel aber auch dem Viersener Stadtrat, dem Kreistag und dem Düsseldorfer Regionalrat in den Rücken, als sie sich im Frühjahr 2016 in ihrer Stellungnahme zum Bundesverkehrswegeplan im Zusammenhang mit dem zweigleisigen Ausbau der Bahnstrecke Kaldenkirchen-Dülken nicht gegen die umstrittene “Viersener Kurve” aussprach.
Offene Fragen
Viele Fragen rund um die Metropolregion Rheinland sind noch offen: Wie ist der räumliche Zuschnitt? Dürfen Duisburg und der Kreis Wesel gleichzeitig Mitglied der Metropolregionen Ruhr und Rheinland sein? Was ist mit der demokratischen Legitimation? Wohin kommt die Geschäftsstelle? Wie viele stimmberechtigte Gebietskörperschaften umfasst die Städteregion Aachen? Welche Rolle spielen der Landschaftsverband, die Regionalräte oder die Wirtschaftskammern? Wie steht die Metropolregion Rheinland zu den bestehenden zahlreichen Standortmarketinggesellschaften? Was ist mit der Finanzierung? Welches Mitspracherecht haben die kreisangehörigen Städte und Gemeinden? Wie werden die ökologischen und sozialen Belange der Region vertreten? Was wird aus der deutsch-niederländischen Zusammenarbeit? Welche Rolle spielt die Metropolregion im schwierigen Strukturwandel des Ruhrgebiets und der Braunkohlenregion? Gilt die Metropolregion auch als Startschuss für eine neue Verwaltungsgliederung der Regierungsbezirke in NRW?
Strukturkonservative Strategien
Mittlerweile stellen vor allem CDU-Sprecher(innen) derartige Fragen zurück und plädieren für eine schnelle und pragmatische Vereinsgründung. Offenbar geht es Ihnen auch darum, den strukturkonservativen Kräften nach der NRW-Wahl im Mai 2017 politischen Einfluss zu sichern und die Debatte auf Nebenfragen der regionalen Abgrenzung - "Duisburg ja oder nein"- umzulenken.
Denn über Grenzen von Regionen lässt sich – je nach Perspektive - lange und ergebnislos streiten. Bis die im Rahmen der Diskussionen um den neuen Landesentwicklungsplan entstandene Dreiteilung NRW’s in die Metropolregionen Ruhr und Rheinland sowie in die “mittelstandsgeprägten Wachstumsregionen in Westfalen-Lippe” in Berlin, Brüssel oder Peking angekommen ist, wird ohnehin viel Wasser durch Rhein, Ruhr und Lippe geflossen sein.
Interkommunale Kooperation und arbeitsfähige Organisationen für ein regionales Transformationsmanagement sind dennoch dringend erforderlich. Das zeigen auch die bisherigen Zwischenergebnisse des sog. Formatisierungsprozesses.
Wer aber ohne eine breite inhaltliche Debatte nur einen weiteren Regionalverein für Standortmarketing und Abgrenzung zum Ruhrgebiet gründen möchte, fördert damit ein gefährliches strukturkonservatives “Weiter wie bisher”. Mehr Gewerbe- und Siedlungsflächen, mehr Straßen, mehr kurzlebige Wegwerfproduktion, mehr konkurrenzorientierter Dumpingkapitalismus oder lange Laufzeiten für Kohleförderung und Verbrennungsmotoren nach dem rheinischen Motto “Et hätt noch emmer joot jejange” schwächen ökosoziale Resilienz und regionale Innovationskraft. Ohne stabile und vielfältige Ökosysteme und ohne Solidarität zwischen Arm und Reich, zwischen Stadt und Land kann sich eine Region nicht gut entwickeln.
Ein jetzt auf die Schnelle erarbeitetes Konstrukt aus Wirtschaftskammern und Hauptverwaltungsbeamten lässt eher befürchten, dass es in der Metropolregion in den nächsten Jahren wenig zündende Anregungen, aber dafür mehr öffentlich geförderte Scheininnovationen, mehr “Weiter so” - Lobbyismus und mehr Wirtschafts- und Wachstumsförderungsrethorik rund um das wettbewerbsorientierte An- und Besiedlungsmanagement geben wird.
Transformationschancen nutzen
Unsicherheitsgefühle, soziale Ungleichheit, unfaire Produktions- und Arbeitsbedingungen verletzen schon heute das moralische Empfinden vieler Menschen. Sie fühlen sich von der Teilnahme und Teilhabe am gesellschaftlich produzierten Reichtum ausgeschlossen. Sie befürchten, dass selbst ihre private Suche nach gutem Leben am Ende kommerzialisierten Algorithmen und gewinnträchtiger Software dienen könnte.
Soziale Inklusion, Klimaorientierung, dekarbonisierte Kreislaufwirtschaft und intelligente Verkehrssysteme unter den Bedingungen von Digitalisierung und Globalisierung – das sind - auch vor dem Hintergrund der Weltnachhaltigkeitsziele - immer dringlicher werdende Herausforderungen der regionalen Zusammenarbeit.
Die neue NRW-Strategie “Heute handeln. Gemeinsam für nachhaltige Entwicklung in NRW” bietet dazu eine Arbeitsgrundlage. Es ist höchste Zeit, im Rahmen einer nachhaltigen Regionalentwicklung Akteure “mit unterschiedlichen Glaubenssystemen” aus den jeweils eigenen “Blasen” herauszulocken. Das was schon einmal Mitte der 1990er in den lokalen Agenda 21-Prozessen versucht wurde, kann regional wieder aufgenommen werden: Dialoge zwischen rheinischen Ingenieuren, Bäuerinnen, Investorinnen, Eine-Welt-Engagierten, Gewerkschaftlern, Umweltaktivisten, Lehrerinnen, Professoren und Verwaltungvertretern. Die im derzeitigen Wandlungsprozess anstehenden Verteilungs- und Machtkonflikte dürfen dabei nicht länger tabuisiert werden. Wie steigern wir im Rheinland den Schutz der Ressourcen? Wie fördern wir eine rheinische Kreislaufwirtschaft? Wie passen wir uns dem Klimawandel an? Was muss gute rheinische Bildung leisten? Wie garantieren wir mit dezentral erzeugten erneuerbaren Energien Versorgungssicherheit für eine Industrieregion? Wie organisieren wir eine sozial- und umweltverträgliche rheinische Landwirtschaft? Wie stoppen wir den bedrohlichen Rückgang biologischer Vielfalt? Wie versetzen wir das Verkehrssystem des Rheinlands in einen zuverlässigen, umweltschonenden, energieeffizienten Zustand? Wie verbessern wir die gesundheitlichen und sozialen Lebensbedingungen? Wie integrieren wir unterschiedliche Zuwanderer? Wie halten wir die Gesellschaft zusammen? Was bedeutet das für die regionale Finanz- und Steuerpolitik?
Es spricht einiges dafür, die hektische Debatte um die Metropolregion Rheinland zu entschleunigen, das Wahljahr 2017 zum breiten transformativen Nach-, Mit- und Vordenken über nachhaltige Pfadfinderprojekte zu nutzen und erst 2018 einen rheinischen Gründungsprozess zu starten. Motto: “Et bliev nix wie et wor”.
Freitag, 9. September 2016
Rheinland schnell vermarkten oder gründlich entwickeln?
Die Ziele klangen eher nach 1980 er – Retro. Dafür war der Zeitplan ambitioniert. Der Verein “Metropolregion Rheinland” sollte ab November 2016 mit einem Jahresetat von rund einer Millionen Euro
- die Wettbewerbs- und Handlungsfähigkeit seiner Mitglieder in der Region, im Land im Bund und vielleicht auch in Europa verbessern
- mehr Fördergelder von Land, Bund und EU akquirieren
- Interessen gegenüber Land, Bund und EU – besonders bei überregionalen Planungen bündeln
- das Rheinland besser vermarkten und Standortmarketing betreiben, um Unternehmen anzusiedeln und Fachkräfte zu gewinnen
- und nach innen Identität stiften
Den Verein gründen wollen die kreisfreien Städte Aachen, Bonn, Düsseldorf, Duisburg, Köln, Krefeld, Leverkusen, Mönchengladbach, Remscheid, Solingen und Wuppertal, die Kreise Düren, Wesel, Euskirchen, Heinsberg, Kleve, Mettmann, Viersen, der Oberbergische Kreis, der Rhein-Erft-Kreis, der Rhein-Kreises Neuss, der Rheinisch-Bergische Kreises, des Rhein-Sieg-Kreis die Städteregion Aachen, der Landschaftsverband Rheinland, die Handwerkskammern Aachen, Düsseldorf und Köln sowie die Industrie- und Handelskammern Aachen, Bonn/Rhein-Sieg, Düsseldorf, Duisburg-Wesel-Kleve, Köln, Mittlerer Niederrhein, Wuppertal-Solingen-Remscheid.
Die Politiker aus den Räten, Kreistagen und anderen demokratischen Vertretungen sollten bis zu den Herbstferien der Satzung und dem Etat zustimmen. Das aber ging etlichen Kommunal- und Regionalparlamentariern zu schnell. Sogar Landtagsabgeordnete waren vom Zeitplan überrascht. Denn der Verein wirft doch etliche Fragen auf: Passen die Partner überhaupt zueinander? Welche Rolle spielen der ländliche Raum und die Industrie- und Handelskammern? Wo bleiben die kreisangehörigen Städte und Gemeinden? Vertragen sich die wirtschaftsorientierten Vereinsziele mit den ökologischen und sozialen Herausforderungen, vor denen wir im Rheinland stehen? Hebelt der Verein parlamentarische Gremien und kommunale Selbstverwaltung aus? Ist das ganze nicht zu teuer? Was ist mit den sog. Transaktionskosten innerhalb der kommunalen Großfamilie? Lässt sich NRW denn – wie der neue Landesentwicklungsplan suggeriert - tatsächlich in die zwei Metropolregionen Ruhr und Rheinland und eine mittelstandsgeprägte Wachstumsregion Westfalen gliedern?
Mit einer derart intensiven Diskussion hatte die Steuerungsgruppe unter Federführung der Kölner und Düsseldorfer Regierungspräsidentinnen offenbar nicht gerechnet. Um vor allem der ehrenamtlichen Kommunalpolitik mehr Zeit für Beratung und Anregung zu geben, hat jetzt die Steuerungsgruppe die Vereinsgründung auf 2017 verschoben. Diese Entschleunigung ermöglicht eine kommunalpolitische Debatte zur Metropolregion Rheinland. Deren Ergebnisse können in einen überarbeiteten Satzungsentwurf einfließen. Und erst dann werden die Kreistage und Räte zur endgültigen Abstimmmung gebeten.
Gründlichkeit vor Schnelligkeit. Denn Politik folgt eben einer anderen Logik als Wirtschaft. Politische Entscheidungen sind erst dann richtig, wenn sie den Betroffenen plausibel sind. Auch dann, wenn die Betroffenen selbst politische Entscheider sind…
Mittwoch, 25. Mai 2016
Von Kiemen und Kommunen: Metropolregion Rheinland
Es lässt Fische und Kommunen atmen. Und es geht um Blut und Wasser. Den Fischen helfen dabei die Kiemen, den Kommunen die Paragrafen. Die Rede ist vom Gegenstromprinzip: „Die Entwicklung, Ordnung und Sicherung der Teilräume soll sich in die Gegebenheiten und Erfordernisse des Gesamtraums einfügen; die Entwicklung, Ordnung und Sicherung des Gesamtraums soll die Gegebenheiten und Erfordernisse seiner Teilräume berücksichtigen...“ Weil es keine Raumordnung durch hierarchische Anweisungen gibt, streiten sich unterschiedliche Gebietskörperschaften darüber, was wo auf den Flächen passieren darf. Und da bekanntlich mobile Faktoren wie Menschen und Geld zum besten Wirt wandern, wollen die Kommunen ihre Flächen so gestalten, dass wohlstandsvermehrendes Wachstum entsteht. In demokratisch organisierten Kommunen haben im Idealfall die repräsentativ gewählten Kommunalpolitiker das letzte Wort darüber, was “wohlstandsvermehrendes Wachstum” für ihre jeweilige Kommune bedeutet. Sie entscheiden “vor Ort” darüber, wo und wie die Häuser, die Fabriken, die Windräder, die Äcker, Parks und Wälder bleiben, verschwinden oder hinkommen.
Was im Paragraf 1 Abs. 3 des Raumordnungsgesetzes so schlicht daher kommt, sorgt im regionalpolitischen Alltag des Grenzlands immer wieder für Konflikte. Sie heißen Logistikhalle, Schweinestall, Erschließungsring oder Flüchtlingswohnung. Manche Akteure und Interessenwalter (Stakeholder) geraten dabei in Schnappatmung, andere schwitzen Blut und Wasser. Denn Lobbyismus für ein Anliegen ist sehr anstrengend: Türen öffnen, Argumente vortragen, Widerstände überwinden, Mehrheiten sammeln…
Also macht es Sinn, “Blut und Wasser zu regulieren”, Anliegen und Interessen zu bündeln, um den Lobbyismus zu erleichtern. Dabei ist der berühmte “unternehmerische Sachverstand” offenbar sehr hilfreich. Denn die Wirtschaft schafft es, mit Vereinigungen, die Kirchturmspitzen des Grenzlands zu überwinden. Allerdings beschränkt sie Regionalentwicklung meist auf ökonomische Belange.
Standort Mittlerer Niederrhein
Innovationsregion Rheinisches Revier
Das neueste Wirtschaftsprodukt ist die Vereinigung von Kölsch und Alt, Alaaf und Helau in einer Metropolregion Rheinland. Industrie, Handel, Handwerk und Verwaltungsbeamte wollen in einem neuen Verein - mit rund acht hauptamtlichen Mitarbeitern - die alte Erbfeindschaft zwischen Köln und Düsseldorf überwinden. Mit dem bekannten Wortgeklingel (ideologiefrei und mit Augenmaß gegen Dirigismus und Überregulierung) werden sie sich dann für reibungslosen Güterverkehr, für globalen Wettbewerb, für Wirtschaftswachstum und gegen zu viel Natur- und Umweltschutz stark machen. Und bevor die Kommunalpolitiker über diese neue Vereinsgründung zur “Stärkung im Wettbewerb der Regionen” entschieden haben, gibt die Metropolregion Rheinland schon mal eine Stellungnahme zum Bundesverkehrswegeplan ab. Die erspart eigene Recherchen. Und erleichtert die Abtretung kommunalpolitischen Einflusses und finanzieller Ressourcen an eine weitere Vereinigung von Unternehmensfachpromotoren und kommunalen Machtpromotoren. Deren Entwicklungskonzepte klingen immer wieder ähnlich und erinnern an die gescheiterten europäischen Wachstumsstrategien. Sind die kommunalen Transaktionskosten jetzt schon größer sind als die Vorteile all dieser Vereinigungen? Wie werden denn Dülken, Oedt oder Kranenburg von der neuen Metropolregion profitieren?
Derartige Vereinigungen mit einseitiger Wirtschaftsorientierung, ohne demokratische Kontrolle, ohne Stakeholder für Natur, gutes Leben und menschliche Bedürfnisse treiben nach allen Einzelhandelskonzepten, Rahmen-, Leit-, Entwicklungs- und Raumplanungen womöglich kuriose Blüten wie die bergische Kooperation nach 15 Jahren. Im heftigen Streit um ein Designer Outlet Center in Remscheid, ein Factory outlet Center Wuppertal und ein “urban outlet” in Solingen fordert nun der Handelsverband einen Masterplan. Im kulturellen Gegenstrom behauptete Meister Goethe schon 1829: "Die Menschen werden an sich und andern irre, weil sie die Mittel als Zweck behandeln, da denn vor lauter Tätigkeit gar nichts geschieht oder vielleicht gar das Widerwärtige.”